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Tipp KW 2 – 2022

Was hat die Identifizierung von Use Cases für (Voice) BOTs mit der Entwicklung des Corona Impfstoffs gemeinsam?

Sofern man sich für eine technische Implementierung von Conversational AI entschieden hat, ein entsprechendes Tool dann auch vorliegt und man parallel die entsprechenden Funktionen oder Rollen mit Mitarbeitern besetzt hat, kommt schnell die Frage auf: 

Welche Use Cases oder Prozesse sollen oder wollen wir jetzt mit dieser technischen Lösung als erstes umsetzen?

Hierzu hat mich die Lektüre der Biographie zur Entwicklung des Impfstoffs von Biontech („Projekt Lightspeed“) insofern überrascht und auch für diesen Tipp der Woche inspiriert, da hier sehr vergleichbare Strategien angewendet wurden, die ich Ihnen gerne vorstellen möchte.

  1. Nutzen Sie möglichst viele Daten und Informationen der wichtigsten Know-How Träger

Es war für die Entwickler des Impfstoffs trotz einer vorhandenen Strategie nicht möglich, isoliert alle notwendigen Komponenten für eine Impfstoff-Lösung zu finden. Einerseits hatte man zwar sehr starkes Know-How in speziellen Teilbereichen, verfügte aber nicht über Detailwissen in anderen Komponenten. Erst durch die Identifizierung von Know-How-Lücken konnten spezielle Unternehmen (z.B. für bestimmte Lipid-Moleküle in die der Impfstoff eingebettet werden konnte) für die Forschung für den Impfstoff gesucht und dann eingebunden werden. 

Gleiches gilt bei der Entwicklung von Use Cases für Bots oder Automatisierung allgemein. Der erste Impuls ist hier in der Regel, auf bestehende Prozesse oder Kundenanfragen zu schauen und aus den in der Vergangenheit gemessenen oder geschätzten Volumina im Kundenservice abzuleiten, welche Anfragen bei Kunden am häufigsten auftreten und diese dann zu versuchen, mit einem Bot-Self-Service-Dialog zu versehen.

Auch wenn dieser Ansatz nicht ganz falsch ist und sicher auch das Potenzial hat, potenzielle Bot Use Cases mit hohem Kundenimpact zu identifizieren, gibt es dennoch das Risiko, nur die Symptome (den Kundenkontakt) zu beheben aber nicht die Ursache. Ebenso fällt unter den Tisch, ob ein Kundenkontakt aus Kunden- oder sogar Unternehmenssicht nicht besser doch durch einen Mitarbeiter bearbeitet werden sollte oder der Sachverhalt zukünftig ggf. nicht mehr in der zunächst beobachteten Höhe auftritt.

Zudem wird hier nicht auf die Komplexität einer Entwicklung eines Use Cases Rücksicht genommen, was im Risiko dazu führt, dass dann relativ wenige Use Cases und Funktionalitäten für den Kunden vorliegen können und die Gesamtnutzung oder Kundenerfahrung nicht positiv wird.

Wenn Sie allerdings für die Entwicklung von Use Cases ein „Biz-Dev-Ops“-Modell implementieren, in dem alle wesentlichen Bereiche – und hier vor allem Agenten und Kunden-„Vertreter“ – mit dabei sind, erhalten sie eine End-to-End Sicht von Use Cases und können entweder die Ursache beheben oder bei der Entwicklung mögliche Fallen schnell identifizieren. Da hier dann der Bereich IT (DEV) als auch Anforderer (BIZ) am Tisch sitzen, können schnell Fragen zur (De-)Priorisierung in der Entwicklung von Use Cases geklärt werden und mit gemeinsamen Zielen ein gutes Ergebnis erzielt werden. 

Tipp: Etablieren Sie ein Cross-Funktionales Team mit Profis aus allen relevanten Bereichen und mit entsprechendem Zeit-Invest auf, welches als gemeinschaftliches Ziel die Optimierung der Kundenprozesse im Hinblick auf Self-Services hat. Kommunizieren Sie dieses Team aktiv in alle Abteilungen, damit für alle klar wird, wer für mögliche Ideen/Anfragen Ansprechpartner ist. Belohnen Sie gute Ideen Ihrer Mitarbeiter und, wenn möglich, bringen Sie Gamification in Form eines Wettbewerbs um die Beste Idee hinein.

  1. Warum nicht die bestehenden Pfade verlassen?

In der Pandemie war der Faktor „Zeit“ für die Entwicklung des Impfstoffs essentiell. Um den Impfstoff schnellstmöglich in die Bevölkerung zu bringen, wurden statische Zeitvorgaben (z.B. für klinische Tests) verkürzt als auch deren Phasen zusammengelegt.

Die Erfahrung zeigt, dass viele Kundenservice- und IT-Einheiten auch hier statische Vorgaben, Roadmaps, Genehmigungsverfahren, Test- und Abnahmekriterien mit Zeitvorgaben und Laufzeiten…usw. haben, was auch die zeitliche Entwicklung von Use Cases verzögert. Auch wenn diese Strukturen ihren Sinn haben, empfehle ich diese zwar nicht grundsätzlich, aber dennoch in Teilen in Frage zu stellen. Gibt es eine Möglichkeit neben der regulären Entwicklung und Implementierung die Möglichkeit, eine parallele z.B. agile Lieferstraße zu etablieren, welche auf bestimmten Kriterien beruht und die regulären Zeitvorgaben und Phasen in Einzelfällen umgehen kann?

Ein Beispiel kann sein, dass mittelfristig eine direkte Backend-API Lösung für ein Use Case gebaut wird, aber in der Zwischenzeit RPA als Brückentechnologie die Realisierung eines MVPs ermöglicht. In diesem Fall kann z.B. eine so genannte „IT Architecture Violation“, die normalerweise die Nutzung von RPA verhindern würde, kurzfristig und auch temporär akzeptiert werden und somit die Umsetzung des Use Cases schneller möglich machen. 

Tipp: Analog zur Impfstoff-Entwicklung ist auch bei der Use Case Entwicklung Zeit ein wertvoller Faktor. Je schneller Sie in einer Entwicklung sind, desto schneller können Sie auf kurzfristige Kundenanforderungen mit z.T. hohen Volumina reagieren und ihre Kundenservice-Mitarbeiter mit einer Automatisierung entlasten. Prüfen Sie ob und mit welchen Kriterien die reguläre IT-Entwicklung mit einer agilen Lieferstraße ergänzt werden kann. 

Synthetische RNA – Synthetische Daten 

Ein Schlüssel bei der Entwicklung eines erfolgreichen Impfstoffs war die Nutzung von synthetischen Komponenten in Form der so genannten Messanger-RNA (mRNA). Ohne diese synthetische Komponente hätte die Entwicklung eines Impfstoffs auf traditioneller Basis (Totimpfstoff) länger gedauert und zudem ist hier derzeit noch kein Erfolg garantiert.   

Analog hierzu gibt es bei der Datenanalyse einen relativ neuen Trend, bei dem so genannte synthetische Daten genutzt werden. Was hat es damit auf sich:

Die meisten Kundenserviceorganisationen besitzen bereits jetzt schon viele Daten und könnten diese sowohl für die Ermittlung möglicher Kunden-Predictions als auch zur Optimierung von internen Prozessen nutzen und damit einen Mehrwert liefern. Allerdings sind die gesetzlichen Vorgaben zum Datenschutz in Zeiten von Online-Kriminalität und Profiling berechtigterweise sehr streng. Parallel sind oftmals die Möglichkeiten der Datenauswertung durch interne Betriebsvereinbarungen limitiert.

Bislang werden daher Daten für eine Auswertung anonymisiert in dem man jedoch wesentliche Merkmale, wie zum Beispiel eine Wiedererkennung eines Kunden, entfernt, was wiederum eine Auswirkung auf den Nutzwert der Daten hat. 

Bei einer „Synthetisierung“ von Kundendaten werden mit Hilfe von einer KI reale Kundendaten umgewandelt und ein Datenzwilling mit gleichen Merkmalen und stereotypischen Eigenschaften erzeugt. Somit entsteht mit Hilfe von Machine Learning ein statistischer Zwilling eines Datensatzes der keinem Kunden zugeordnet werden kann, alle Merkmale aufweist und trotzdem kein echter Kunde ist. Hierdurch erweitern Sie ihre nutzbaren Daten und können auf dieser Basis Daten und potenzielle Kunden-Flows identifizieren als auch auswerten. 

Tipp: Prüfen Sie inwiefern auch die Nutzung von synthetischen Daten für Ihre Analysen geeignet sind und die Identifizierung von Use Cases unterstützen. Die erforderliche KI Software hierfür ist von verschiedenen Anbietern als Open Source Lösung verfügbar und bietet somit die Option, mit überschaubarem Kostenaufwand zu testen und ggf. diese Lösung im Unternehmen zu nutzen. 

Fazit:

Ähnlich wie bei der Suche nach einer komplexen Lösung (z.B. eines Impfstoffs) können identische Vorgehensweisen und Strategien bei der Entwicklung von Bot-Use-Cases angewendet werden. Dabei geht es primär darum, die wesentlichen Know-How-Träger zusammen zu bringen und diese mit einem konkreten Auftrag zu versehen. 

Wenn es dann in die Umsetzung bzw. das Deployment geht, können agile Arbeitsweisen mehr Geschwindigkeit schaffen. Ebenso können auch erweiterte Datenanalysen, z.B. mit den erwähnten synthetischen Daten, die Qualität von Use Cases steigern. Das sind aber in Summe sekundäre Erfolgsfaktoren.

Grundsätzlich gilt wie immer: Denken Sie jeden einzelnen Use Case aus Kundensicht und zwar auf End-to-End-Ebene und orientieren Sie sich an die zentrale Frage: Was will/braucht der Kunde in diesem Moment? Wenn Sie diesen Blickwinkel immer wieder einnehmen, haben Sie eine sehr gute Chance die richtigen Use Cases identifizieren und ihren Kunden anzubieten. 

Carlos Carvalho – Senior Consultant

junokai

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