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Tipp KW 15 – 2024

„Bis dass die Rente euch scheidet“? – Mitarbeiterbindung im Kundenservice

Wer jemals auf dem Call Center-Agent-Platz gesessen und diesen Job gemacht hat, weiß, wie anspruchsvoll und fordernd er ist. Und die Veränderungen der Kundenbedürfnisse und -erwartungen haben diesen Job im Laufe der vergangenen 20 Jahren auf ein neues Level gehoben. Als Agent muss man ein/e erfahrene/r Fachmann/Fachfrau mit einer hohen Sozial-, Problemlösungs- und Beratungskompetenz sein, damit Kunden am Ende des Gesprächs zufrieden und vielleicht sogar auch glücklich sind. Natürlich darf auch ein hohes Maß an Leistungsbereitschaft und Stressresistenz nicht fehlen. Für diese verantwortungsvolle Aufgabe braucht man also sowas wie die viel besagte eierlegende Wollmilchsau. Schließlich geht’s um nicht weniger als Kundenzufriedenheit und -loyalität und damit um den Unternehmenserfolg.  

Als ich vor mehr als 20 Jahren als Call Center-Agent in einem großen Konzern startete, hörte ich vielfach die Aussage: „Diesen Job mache ich nicht ewig!“. Vielen Mitarbeitenden diente er mehr als Sprungbrett in andere Fachbereiche oder temporäre Beschäftigung, bis sich der eigentliche Berufstraum konkretisiert hat. Die vielen Studierenden, die sich mit dieser Tätigkeit lediglich das Studium finanzierten, mal nicht mitgezählt. Die Fluktuation und der Wegfall von wertvollem Know-how waren damit schon vorprogrammiert.

Grund dafür war damals schon mitunter die hohe Arbeitsbelastung und Leistungsdruck, oftmals in Verbindung mit einer als gering empfundenen Entlohnung. Und auch heute hat sich daran nicht viel geändert. Laut einer Studie des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens Pricewaterhouse Coopers lag die Fluktuationsrate in der deutschen Call Center-Branche vor Corona zwischen 20 und 40 Prozent. Klingt viel? Ja, in der Tat. Die Fluktuationsrate in Call Centern ist die höchste im Vergleich zu anderen Branchen.

Dass Mitarbeitende das Unternehmen verlassen, wird sich nie vermeiden lassen. Doch die Fluktuation und die damit verbundenen Personalkosten lassen sich zumindest reduzieren. Darüber hinaus sichert Mitarbeiterloyalität auch die Qualität des Kundenservices, denn er profitiert vom über Jahre hinweg erworbenen Know-how und den Erfahrungen der Mitarbeitenden.

Mitarbeiterbindung ist hier das Schlagwort. Heute auch als Employer Branding bezeichnet.

Möglicherweise schleicht sich jetzt als erster Gedanke das Thema Entlohnung in den Vordergrund. Das ist natürlich ein wichtiger Faktor, aber nicht ausschließlich. Eine 2023 von Capterra durchgeführte Studie zum Thema Arbeitszufriedenheit zeigte, dass das Gehalt 46% der Befragten wichtig ist. Die Mehrheit der Befragten nannte erfüllende Arbeit und ein gutes Arbeitsklima noch vor der Bezahlung.

Wenn ein Unternehmen also seine Mitarbeitenden auf Dauer binden möchte, hat es mehr Möglichkeiten, dies zu tun, als nur an der Gehaltsschraube zu drehen. Und sich dessen bewusst zu sein kann ein wahrer Gamechanger sein, denn Mitarbeiterbindung findet auf 4 Ebenen statt:

Rationale Ebene                                z. B. Bonussysteme, Arbeitszeitmodelle
Emotionale Ebene                            z. B. Wertschätzung, Beziehungen zu Kolleg:innen/Führungskraft
Perspektivische Ebene                    z. B. Beruflicher Aufstieg, Entwicklung
Normative Ebene                             z. B. Werte & Ziele, klare Vision

Im Laufe meines Berufslebens habe ich, sowohl im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen als auch mit Kundinnen und Kunden, gehört und gelernt, welche Aspekte für die Mitarbeiterbindung als am wichtigsten erachtet werden. Sie lassen sich so zusammenfassen:

Gleichbehandlung

Angefangen bei den Gehaltsstrukturen über interne Vereinbarungen (z. B. Regelungen zum mobilen Arbeiten) bis hin zur Aufgabenverteilung. Gleichbehandlung schafft Augenhöhe und Gerechtigkeit und verhindert wettbewerbsfördernden Vergleich untereinander.

Transparenz und Kommunikation

Geheimnisse sind notwendig, wenn es um die Planung von Geburtstagsüberraschungen geht. Geheimnisse und fehlende Kommunikation im Arbeitsumfeld können hingegen Unzufriedenheit und Misstrauen in der Belegschaft verursachen und befeuern letztendlich unliebsamen Flurfunk. Mitarbeitende sind die treibenden Kräfte des Kundenservices. Sie erwarten eine ehrliche Kommunikation und zurecht eine Beteiligung an den Geschehnissen im Unternehmen.

Beteiligung und Identifikation

Mitarbeitende, die sich mit den Unternehmenszielen und den damit verbundenen Aufgaben identifizieren, sind sehr wertvoll. Denn sie zeigen oftmals mehr Engagement, sind motivierter und leisten ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg. Der Grundstein für die Identifikation mit dem Unternehmen sollte bereits beim Onboarding neuer Mitarbeiter:innen gelegt werden, indem die Unternehmens-DNA vermittelt wird. Hierin stecken die Werte, die Unternehmenskultur, die Historie, Vision und Ziele. Doch der Schlüssel zum Erfolg liegt auch hier darin, diese DNA (vor)zu leben und damit glaubwürdig zu sein. Mitarbeitende daran zu beteiligen und sie aktiv in die DNA zu integrieren, stärkt das Zugehörigkeitsgefühl. Gute Mittel dazu können unter anderem regelmäßige Team-/Personalentwicklungsmaßnahmen, Feedbackgespräche, Umfragen und Einbindung in die strategische Arbeit sein.

Führung

Wie in vielen anderen Bereichen auch, gibt es beim Thema Mitarbeiterführung nicht die eine Wahrheit. Was allerdings von Mitarbeitenden in der Regel gewünscht wird und sie in ihrer Entwicklung voranbringt, ist eine individuelle Führung. Nicht jede/r Mitarbeiter/in wünscht sich pauschal mehr Eigenverantwortung und Autonomie im Job. Genauso wenig wie jede/r Mitarbeiter/in täglich genaue Arbeitsanweisungen und Ergebniskontrollen benötigt. Es kommt also darauf an, als Führungskraft flexibel und individuell auf seine Mitarbeitenden einzugehen, ihre Stärken zu fördern und zu verstehen, was sie brauchen, um eine gute Leistung zu erbringen. Eine individuelle Führung, die von offener Kommunikation, Wertschätzung und Augenhöhe geprägt ist, schafft Vertrauen und Integration.

Um herauszufinden, wie es um die Mitarbeiterzufriedenheit und -loyalität im eigenen Kundenservice-Bereich steht, können zunächst einmal Befragungen klare Einsichten liefern. Aus den Rückmeldungen ergeben sich die Potenziale, um Mitarbeitende stärker an das Unternehmen zu binden und Fluktuation, und damit auch Personalkosten und Qualitätseinbrüche, zu reduzieren.

Melanie Harth – Consultant

 junokai

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