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Tipp KW 14 – 2024

Der Dunning-Kruger-Effekt als Hüftgürtel wirksamer Customer Experience Strategien

Vor 25 Jahren veröffentlichten die Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger von der Cornell University Studienergebnisse*1 zur Wahrnehmung von Kompetenzen sowie das Wissen – respektive das Verständnis von Wissen – bzw. Unwissenheit.

In experimentellen Studien untersuchten Dunning & Kruger die Fähigkeit der Selbsteinschätzung bei real-messbaren Leistungen. Dafür ließen die beiden US-amerikanischen Wissenschaftler verschiedene Personen unterschiedliche Leistungstest durchführen. Anschließend sollten die Probanden sowohl ihre eigenen Ergebnisse als auch das Abschneiden von anderen einschätzen. In 4 Studien fanden Dunning & Kruger heraus, dass Personen deren Testergebnisse im unteren Quartil lagen, ihre Testleistungen deutlich überschätzten. Gleichauf neigten die Personen dazu, überlegene Fähigkeiten von anderen zu verkennen. Diametral hierzu förderten Dunning & Kruger auch die Erkenntnis zutage, dass kompetentere Personen (d. h. Probanden mit hohen Testergebnis im oberen Quartil) ihre Ergebnisse etwas niedriger einschätzten, als sie tatsächlich waren. Dunning & Kruger leiteten ab, dass das eigene Ausmaß der Inkompetenz – einhergehend mit einer fehlenden Wahrnehmung der eigenen Fehler oder Wissenslücken – auf fehlende metakognitive Fähigkeiten*2 zurückzuführbar ist. Die Probanden scheinen sich ihrer Selbstüberschätzung nicht bewusst zu sein. In angrenzenden Studien führte eine Verbesserung der metakognitiven Fähigkeiten zur Steigerung kognitiven Kompetenzen*3 , die wiederum verhalfen Grenzen der eigenen Fähigkeiten zu erkennen.

Kurzum: der Dunning-Kruger-Effekt steht weitverbreitet für eine kognitive Wahrnehmungsverzerrung, bei der das eigene kompetenzbasierte Vermögen überschätzt und Fähigkeiten, Wissen und Können von anderen unterschätzt wird. Zu Ruhm und Bekanntheit kam der Effekt, da er in zahlreichen populärwissenschaftlichen Texten Einzug gefunden hat und dort vielseitig interpretiert wird (oft ist negativ, von sich überschätzten, inkompetenten Personen mit überzogenem Selbstbewusstsein und verzerrtem Selbstbild die Rede). Die beiden Wissenschaftler betonen hingegen, dass ein Mangel an metakognitiven Fähigkeiten ursächlich ist für die Disbalance zwischen Überschätzung und Unwissenheit von Kompetenzbeständen. Die Autoren konstatieren aus weiterführenden Betrachtungen, dass eine Verbesserung der metakognitiven Kompetenzen den Effekt mildern konnte.

Auch wenn der Effekt in der Fachliteratur oft in Frage gestellt und kontrovers diskutiert wird, liefert er interessante Implikationen zu Verhaltensaspekten sowie zu Konsequenzen bezüglich Wahrgenommenem. Vor diesem Hintergrund lassen sich aus der Beschreibung des Dunning-Kruger-Effekts in der Tat bedeutsame Indikationen für eine wirksame CX Strategie ableiten.

Welche generellen Erkenntnisse lassen sich aus dem Dunning-Kruger-Effekt ziehen?

  1. Der Effekt beruht im Kern nicht auf einem Mangel an Informationen, sondern vielmehr auf einem Übermaß an Fehlinformationen.
  2. Wir alle sind disponiert für kognitive Verzerrungen. Der Effekt beschreibt recht deutlich, wie anfällig jeder Mensch zur Neigung ist, erbrachte Leistung zu überschätzen. Und jede Form von kognitiver Verzerrung beeinflusst das Vermögen zum Entscheiden und Urteilen.
  3. Kompetenzen sind erlern- und entwickelbar. Zur Ausbildung sind gewisse Handlungsprozesse, Wissensbestände und bereits erlernten Fertigkeiten, Erfahrungen sowie Übungsprozessen notwendig. Fehlt eine oder mehrere Variablen in der Gleichung, steigt das Risiko eigene Kompetenzen nicht objektiv einschätzen zu können.
  4. Überschätzung birgt auch Vorteile: Personen mit der Tendenz sich leicht zu überschätzen gehen selbstsicher Aufgaben und Herausforderungen an, die sie bei realistischer Abwägung der eigenen Kompetenz nicht angegangen wären, so Sozialpsychologe Prof. Dr. Hans-Peter Erb*4.

Wortwörtlich betrachtet ist ein Gürtel laut Wikipedia etwas, was pragmatisch den Zusammenhalt und besseren Sitz der Kleidung ermöglicht oder auch als Schmuck-Zweck verwendbar ist. Der Dunning-Kruger-Effekt kann, metaphorisch betrachtet, eine ähnliche Funktion oder Rolle in der Customer Experience Strategie einnehmen.

Als eine Art von Richtschnur macht er uns unsere eigenen blinden Flecken bewusst und gibt uns die Möglichkeit, unsere Selbstwahrnehmung anzupassen. Da er das inhärente Spannungsfeld zwischen Selbstbeurteilung und Kompetenzvalidität (inhaltliche Übereinstimmung der Messung) repräsentiert, kann er – aufgeklärt (Dibiasing) und in ein bestimmtes Verhältnis gebracht (d. h. Fähigkeiten unter objektiven Maßstäben bewertet) – uns verhelfen fundierte Entscheidungen in volatil, unsicher, komplex und ambivalent Unternehmenskontexten zu treffen. Entscheidungen, die Konsequenzen für in die Planung, Gestaltung und Durchführung von Interaktionsmomenten mit ihren Kunden besitzen.

Stellt sich nun die Frage: Wie kann der Effekt für eine CX-Strategie nützlich ein?

Die Wirksamkeit, als ein Kontrollmaß des Zielerreichungsgrades, ihrer Customer Experience Strategie ist selbstverständlich von einer stattlichen Vielzahl gestaltungsbestimmender und gestaltgebender Faktoren abhängig. Dem geschuldet sollen die folgenden Hinweise bitte auch eher als opportune Denkanstöße verstanden werden.

Unabhängig davon an welchen Touchpoints und frei von der Weise wie Sie mit Ihren Kunden interagieren – seien Sie sich ihren Stärken bewusst und vertrauen Sie ihren Fähigkeiten. Um jedoch nicht kontinuierlich blind in der Selbsteinschätzung und Urteilsfindung zu sein, hilft:

Erkennen, benennen, ggf. justieren des Denkprozesses:

Verbessern Sie ihre Selbstreflexion mit einer kritischen und prüfenden Distanz zu den eigenen Fähigkeiten.

Durch Trainings und/oder mit Konfrontationsmaßnahmen (z. B. Bewusstwerden einer Existenz und Sensibilisierung der Folgen) verringern Sie negative Auswirkungen kognitiver Verzerrungen.

Verstärken Sie ihre Kognitionsfähigkeit, indem Sie die Informationsverarbeitung und additive Entscheidungen unter einer bewussten Kontrolle stattfinden lassen.

Ziel sollte es sein, ihre Denkdispositionen durch Wissen über Lösungen zu unterstützen und situationsbedingte Hinweise wahrzunehmen.

Von anderen lernen:

Erhöhen Sie die Bereitschaft zur Selbstentwicklung und nutzen Sie nahezu jede gebotene Gelegenheit von anderen zu lernen.

Holen Sie sich regelmäßig Feedback ab und objektivieren Sie ihr Erleben, indem Sie ihrer subjektiven Einschätzung mit Feedbackurteilen von anderen abgleichen.

Beobachten, zuhören, antizipieren:

Holen Sie Rat von anderer ein, die ihre Anliegen aus einer anderen Perspektive und unter einem objektiven Licht bewerten können.

Kontrastieren Sie ihr Zielbild und schärfen Sie ihre Fähigkeiten wie Ihr Unternehmen sein Kundenbeziehungsmanagement gestaltet und optimiert.

Verwerfen sie übersteigerte Erwartungen an einen einzigen Lösungsweg, bleiben Sie stattdessen mental flexibel und konsultieren Sie mehrere Informationsquellen.

Strategien und Taktiken kritisch hinterfragen:

Bleiben oder seien Sie offen kritikfähig in Bezug auf aktuelle und zukünftige Maßnahmen oder Aktivitäten.

Würdigen sie ihre Stärken in einem angemessenen Umfang. Das Selbsterkenntnisvermögen nimmt mit wachsendem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu.

Womöglich lassen sich Aspekte des Dunning-Kruger-Effekts auch in ihre Customer Experience Strategien feststellen. Kaum ein Umstand ist für wirtschaftliche Erfolge so gefährdend wie blinde Flecke bezüglich der eigenen Stärken und Schwächen. Bleiben Sie reflektiert und suchen Sie zur Objektivierung ihrer Strategie gerne einen Wissensaustausch mit uns.

Melanie Bohrmann – Junior Consultant

 junokai

*1 Kruger & Dunning (1999). Unskilled and unaware of it: How difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments. Journal of Personality and Social Psychology (American Psychological Association)-Vol. 77, Iss: 6, pp 1121-1134. https://typeset.io/papers/unskilled-and-unaware-of-it-how-difficulties-in-recognizing-1eehsjerwq.

*2 metakognitive Fähigkeit = Fähigkeit, eigenen Denkprozesse und Entscheidungen zu reflektieren.

*3 kognitiven Kompetenzen = Gesamtheit geistiger Aktivitäten im Zusammenhang mit Denken, Wissen, Erinnern, Gedächtnis und Kommunizieren ((Kognition nach Myers (2014) Psychologie)).

*4 Quelle: https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2020/06/dunning-kruger-effekt-warum-sich-halbwissende-fuer-besonders-klug-halten

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