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Tipp KW 36 – 2021

Wissensmanagement im Customer-Service als Erfolgsfaktor

Warum Wissen in Service-Centern so wichtig ist

Stellen wir uns folgende Situation in einem Unternehmen vor: Das Service-Center eines Unternehmens ist im Umbruch. Neben einem externen Dienstleister sind auch intern zahlreiche neue Mitarbeiter eingestellt worden.

Man kämpft folglich mit verschiedenen Problemen: Neue Mitarbeiter benötigen sehr lange, um tatsächlich produktiv beraten zu können. Wenn ein Kunde zu einem Sachverhalt mit zwei Beratern telefoniert, ist es sehr wahrscheinlich, dass er von beiden unterschiedliche Hinweise erhält. Nicht, dass eine Lösung richtig und eine falsch wäre – manchmal führen ja gerade bei schwierigen Themen mehrere Wege zum Ziel.

Dennoch ist es für die Kunden irritierend, mit unterschiedlichen Ratschlägen konfrontiert zu werden. Besonders unangenehm sind diese unterschiedlichen Informationen immer dann, wenn eine Fallbearbeitung von einem Agenten begonnen und von einem Anderen fortgesetzt wird. Da diese in der Regel mit unterschiedlichen Vorgehensweisen arbeiten, verunsichert dies die Kunden.

In Fällen plötzlicher Änderungen, aber auch bei temporär kritischen Fragestellungen, wie z.B. bei Rechnungsstellungen, wird das Service-Center mit einer nicht zu bewältigten Flut von Anfragen über alle Kanäle konfrontiert. Da die Anzahl der Agenten sowieso begrenzt ist und neue Agenten so schnell nicht eingearbeitet werden können, führt die daraus resultierende schlechte Erreichbarkeit und langsame Abarbeitung der Anfragen zur Unzufriedenheit bei den Kunden.

Sicherlich können viele von Ihnen ein ähnliches Szenario beschreiben. Neben den spezifischen Problemen, die mit Strukturänderungen von Organisationen zusammenhängen, fällt hier auf, dass die einheitliche Verfügbarkeit von Wissen, Informationen und Daten ein wichtiges Element zur Realisierung einer hohen Servicequalität im Customer Service ist.

Was ist Wissensmanagement?

Hier greift das Prinzip des Wissensmanagement, also die systematische Vorgehensweise zur Sammlung, Dokumentation und einheitlichen Verfügbarkeit der im Unternehmen vorhandenen Wissenselemente. Dabei können diese Wissenselemente z.B. auf Datenträgern bereits verfügbar sein; vor allem aber das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter ist der Schatz, den jedes Unternehmen mit Wissensmanagement heben sollte.

„Wissen“ ist die höchste Form der Darstellung von Sachverhalten (bestehend aus Prozessen, verbale Beschreibungen, Entscheidungsbäume, Werte und Zahlen, grafische Darstellungen, Datenblättern etc.).

Die Elemente und Arten des Wissens

Das Wissen in einer Organisation besteht aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Informationsarten. Man unterscheidet grob zwischen explizitem und implizitem Wissen. Explizites Wissen ist eindeutig zu erfassen und zu dokumentieren. Beispiele dafür sind etwa Anleitungen, Beschreibungen, Darstellungen und Dokumentationen in verschiedenster Art und Weise. Explizites Wissen ist sehr eindeutig und daher relativ leicht weiterzugeben. Größere Schwierigkeiten bereitet den Unternehmen der Umgang mit implizitem Wissen. Dieses besteht aus den Kenntnissen und Fähigkeiten, welche die Mitarbeiter selbst verinnerlicht haben und auf deren Basis viele Handlungsentscheidungen, z.B. im Umgang mit dem Kunden getroffen werden. Oftmals kann implizites Wissen gar nicht in eine Regel oder in eine verbindliche Vorgehensweise formuliert werden, da hier Entscheidungen von Mitarbeitern nicht nur auf Basis von Fakten getroffen werden, sondern auch intuitiv.

Es gibt Methoden, implizites zu explizitem Wissen zu transformieren. Doch das gelingt häufig nicht. Folgend sind die möglichen Gründe, warum die Transformation oft nicht gelingt und implizites Wissen auch implizit bleibt:

  • Der jeweilige Mitarbeiter erachtet es nicht für notwendig, dieses Wissen weiterzugeben, weil er sich dessen nicht bewusst ist;
  • Der Mitarbeiter erinnert sich an bestimmte Inhalte zum Zeitpunkt der Weitergabe/Dokumentation einfach nicht mehr;
  • Der Mitarbeiter verschweigt bestimmte Inhalte bewusst und möchte sich vermeintlich unentbehrlich machen.

Damit ist leider oft der implizite Anteil des Wissens einer Organisation zunächst nicht erfassbar. Daran sollte man sich aber in einem frühen Stadium des Wissensmanagement nicht abarbeiten. Aus unserer Sicht ist es sinnvoller, sich auf praktische Themen zu konzentrieren. Alles Wissen (oder Information oder Daten), das dem Agenten hilft, die korrekten Aussagen zu liefern, ist nützlich. Ob nun ein Agent eine Excel-Tabelle, ein Blatt Papier oder eine umfangreiche Wissensdatenbank nutzt, ist zuerst einmal gleichgültig. Entscheidend ist, dass ihm die Information weiterhilft.

Das Wissensmanagement im Customer Service organisieren

Die zentrale Ablage von Wissen ist immer dann besonders wichtig, wenn man wie im Kundenservice konsistente Aussagen gegenüber dem Kunden sicherstellen muss. Es hat sich bewährt, Wissenselemente (z.B. Textbausteine und auch sonstige Lösungsdokumente), die zum selben Thema gehören, fachlich gemeinsam zu sammeln und pflegen. Nur so kann eine inkonsistente Beantwortung der Kundenanfragen verhindert werden.

Vielen Unternehmen fällt jedoch die strukturierte Sammlung des Wissens schwer. Die Mengen der vorhandenen, hinzukommenden und anzupassenden Informationen sind hoch. Die Informationsarten wirksam und systematisch zu erfassen ist zunächst aufwendig. Häufig kapitulieren die Organisationen mittelfristig und bekommen das nachhaltige Management nicht in den Griff. Viele Projekte im Wissensmanagement scheitern daher mittelfristig.

Daher raten wir hier zu einem geplantem, aber pragmatischem Vorgehen, damit Projekte im Bereich Wissensmanagement nicht schon im frühen Stadium „hängen bleiben“. Indem man sich über einen längeren Zeitraum stufenweise einer vollständigen Wissensbasis annähert, überfordert man die Organisation nicht und hält die Aufwendungen in Grenzen. Eine Wissenssammlung wird allerdings erst dann zum Erfolg, wenn die Wissensanwendung kontinuierlich verbessert wird.

Die drei Dimensionen des Wissensmanagement

Wissensmanagement wirkt sich auf folgende Bereiche aus und muss in denselben Berücksichtigung finden:

Zum einen in der Organisation: Diese betrifft die Ablauf- und die Aufbauorganisation. Das heißt, in der Gestaltung von Abläufen und der Organisation als solcher spielt es eine wichtige Rolle, ob es einfach möglich ist, Wissen mitzuteilen und wieder zu verwenden.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Integration der Menschen: Es ist entscheidend, die Menschen für das Teilen und den Erwerb von Wissen zu motivieren. Jedenfalls muss die Zusammenarbeit funktionieren, sonst kann Wissensmanagement in Organisationen nicht erfolgreich sein.

Technologie ist sicherlich der dritte wesentliche Punkt im Bereich Wissensmanagement. Technologien wie beispielsweise Wissensdatenbanken oder auch Kommunikations- und Kollaborationswerkzeuge können sehr nützlich darin sein, die Ziele des Wissensmanagements besser zu erreichen.

Die drei Säulen des Wissensmanagements, also Menschen, Organisation und Technik können nicht funktionieren, wenn die Kultur nicht die notwendigen Voraussetzungen bietet. Legt beispielsweise die Kultur des Unternehmens dem Mitarbeiter nahe, dass er und sein Wissen nicht geschätzt werden, sondern dass er nur als Kostenfaktor verstanden wird, dann kann Wissensmanagement nicht erfolgreich sein.

Ein erfolgreiches Wissensmanagement ist nicht abhängig von einem System, sondern von der Systematik. Es kommt darauf an, das Wissensmanagement in die Kundenservice-Organisation als zentralen Bestandteil einzubinden.

Die Kultur des Teilens

Innerhalb der Customer-Service-Abteilung ist es nicht für alle Mitarbeiter selbstverständlich, das eigene erworbene Wissen zu teilen. Der Umgang mit den verschiedenen Kundenanfragen, der Umgang mit einem bestimmten Prozess, das Verhalten im Falle einer emotionalen Kundenbeschwerde am Telefon oft als „eigenes Wissen“ geschützt mit der Intention, unentbehrlich für den Arbeitgeber zu bleiben. Dem kann man nur entgegenwirken, indem von den Führungskräften eine entsprechende „Kultur des Teilens“ vorgelebt wird, das heißt man teilt das Wissen aktiv, kommuniziert und fordert auf, es gleichzutun. Grundsätzlich sollte dabei gelten: Jeder im Unternehmen darf jegliches dokumentiertes Wissen sehen und lesen.

Die Einführung des Wissensmanagement

Die Implementierung eines Wissensmanagement im Customer-Center ist von folgenden wichtigen Phasen geprägt:

Phase 1: Vorbereitung

  • Personelle Verankerung – Beteiligte suchen und Organisation und Rollen definieren
  • Projektbeteiligte schulen und vorbereiten
  • Kultur des „Teilens von Wissen“ definieren, vorleben und kommunizieren

Phase 2: Struktur schaffen

  • Ziele für die Strukturierung des vorhandenen Wissens definieren 
  • Messbarkeit der Ziele sicherstellen
  • Bewusstsein schaffen für die Unterschiedlichkeit von Wissensarten
  • Bestandsaufnahme des bereits vorhandenen (dokumentierten) Wissen 

Phase 3: Durchführung

  • Wissensstruktur anlegen (z.B. Dateisystem, Software etc.)
  • Vorhandenes bereits dokumentiertes Wissen in eine Basis einpflegen
  • Entlang der Prozesse im Customer-Center das explizite Wissen vervollständigen
  • Iterativ durch alle Themen und Bereiche die Wissensbasis nach und nach erweitern
  • Nach erstmaliger Erfassung des Wissens laufende Pflege sicherstellen (Motto: Pflege und Aktualität vor zusätzlichem Wissen!)

Der Einsatz von Software

In unserer Beratungspraxis treffen wir auf die verschiedensten Formen des softwaregestützten Wissensmanagement. Da ist alles vorhanden – von der unstrukturierten Dokumentensammlung bei jedem Mitarbeiter auf dem persönlichen Laufwerk bis hin zur zentralen Ablage in einem unternehmensweiten administrierten und gepflegten Knowledge-Management-System.

Bei den Anbietern von Wissensmanagement-Systemen trifft man auf ein breites Angebot mit den verschiedensten Schwerpunkten und Ausprägungen. Eine vollständige Darstellung dieses wachsenden Marktes sprengt den Rahmen dieser kurzen Einführung. In Orientierung an einem der führenden Anbieter auf diesem Gebiet möchte ich jedoch nachfolgend darstellen, welche Handlungsfelder, Bausteine und Komponenten ein Knowledge Management-System tangiert: 

Definition von Rollen und Rechten, z.B.:

  • Anwender
  • Workflowbeteiligte
  • Chef-Redakteure
  • Redakteure
  • Co-Redakteure
  • Wissensmanager
  • Übergeordnete Wissensmanager
  • Technische Admins
  • User-Gruppen
  • Organisationseinheiten

Ordnung und Struktur

  • Definition der Wissensarten
  • Festlegung Zielsystem
  • Kategorie Struktur
  • Ordnungskriterien (z.B. Standorte, Produktgruppen, Organisations-Einheiten)

Mandantenfähigkeit

  • Anwendungsbereiche
  • Suchprofile
  • Oberflächen

Freigabesysteme

  • Workflows
  • Personengruppen
  • Marktfreigabe
  • Übersetzungen
  • Nachrichtenfunktionen

Kollaboration: Wissenskultur

  • Informationsflüsse
  • Service-Level für abzuarbeitende Aufgaben
  • Reporting
  • Pflege und versionsgesteuerte Aktualisierung

Kanäle

  • Applikation für den Service
  • Unterstützung für Vorgänge
  • Self-Service für Kunden
  • App-Anbindung
  • Website-Anbindung
  • Vernetztes Portal

Das Fazit

Das Wissen eines Unternehmens – oder auch das Wissen der Mitarbeiter des Unternehmens – ist mindestens genauso wertvoll wie Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge, Hard- und Software oder sonstiges Anlagevermögen. Im Dienstleistungssektor ist es meistens DER wichtigste Faktor für den heutigen und zukünftigen Erfolg, denn z.B. die Dienstleistungen in einem Service-Center werden für den Kunden umso hochwertiger, je mehr diese auf Basis von Erfahrung und Wissen ausgeführt werden. 

Findet kein nachhaltiges Wissensmanagement statt, dann ergeben sich große Nachteile für ein Unternehmen. Im Zuge von Strukturänderungen, Outsourcing oder ähnlichem werden dann die Mängel besonders deutlich, denn häufig ist der Großteil des Wissens bezüglich der Erbringung der Dienstleistung nur in den Köpfen der Mitarbeiter. Sobald eine oder mehrere Schlüsselpersonen ausscheiden, geht Wissen verloren und muss teuer und mühsam neu generiert werden.

Bei zunehmenden Mitarbeitermangel ist es außerdem sehr wichtig, die besten Arbeitsbedingungen für eine erfolgreiche und befriedigende Arbeit im Service zu bieten. Denn Mitarbeiter fühlen sich vor allem dort wohl, wo sie richtig und vollständig beraten können und damit einen guten Job machen.

So wird das Managen von Wissen immer mehr zu einer noch wichtigeren Komponente. Es geht um die Bereitstellung des relevanten Wissens für die Organisation und den Kunden in allen Kanälen, und zwar einheitlich. Erst die zentrale Ablage der Vereinbarungen, Richtlinien und Handlungsanweisungen sichert Relevanz, Vollständigkeit, Aktualität und nachhaltige Sicherung für das Unternehmen.

Michael Fürst – Berater

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