Seit einigen Jahren ist Nearshoring ein Thema für den deutschen Service Center Markt, das sich wachsender Beliebtheit erfreut. Wo liegen die Vorteile heute und welche Punkte sind bei einer Entscheidung für einen Nearshoring-Partner zu beachten?
Erstmals im breiterem Umfang bekannt wurde Nearshoring im Kundenservice, als in den 1990er Jahren multilinguale Ressourcen beispielsweise in Irland angeboten wurden. Interessant war Nearshoring insbesondere wegen der reduzierten Kosten aufgrund niedrigerer Löhne in den angebotenen Ländern. Was damals noch revolutionär anmutete, ist heute Standardbestandteil von Abfragen in vielen Ausschreibungen. Ressourcen werden vor allem in süd- und osteuropäischen Staaten angeboten, die preislich immer noch sehr attraktiv sind; teilweise liegen sie bei der Hälfte der in Deutschland angebotenen Minutenpreise. Das liegt größtenteils daran, dass die Löhne in den angebotenen Ländern niedriger sind; teilweise liegen sie bei weniger als der Hälfte der in Deutschland üblichen Entlohnung.
Neben den preislichen Vorteilen ist häufig auch die Qualifikation der Mitarbeiter höher als in Deutschland. Grund dafür ist das Ansehen der Tätigkeit als Kundenservice Mitarbeiter, da die Bezahlung häufig über dem durchschnittlichen Lohn in anderen Branchen liegt und eine verhältnismäßig hohe Arbeitslosigkeit eine Beschäftigung im Service Center noch begehrter macht. Dadurch fällt es leichter, Mitarbeiter mit einem höheren Bildungsgrad zu rekrutieren. Vermehrt findet man Mitarbeiter, die Deutsch nicht als Fremdsprache gelernt haben, sondern in zweiter Generation in Deutschland aufgewachsen und zumindest zeitweise in die Herkunftsländer ihrer Eltern zurückkehrt sind. Da solche „Rückkehrer“ nicht nur aus Deutschland kommen, bieten sich auch Möglichkeit zu multilingualen Serviceangeboten.
Was ist nun bei der Überlegung, Nearshoring in das Dienstleisterportfolio aufzunehmen, zu beachten:
• Der Kostenvorteile sind nicht immer von Dauer. Am Beispiel der ersten Nearshoring-Aktivitäten in Irland hat sich gezeigt, dass durch eine Vielzahl von Anbietern und die damit entstehende Konkurrenz im Werben um qualifizierte Mitarbeiter eine Lohnspirale entstehen kann, die den Kostenvorteil schnell schwinden läßt. Wenn ein Mitarbeiter nur auf die andere Straßenseite zu einem anderen Arbeitgeber gehen muss, um mehr zu verdienen, wird das in der Regel auch geschehen. Gerade in Metropolregionen, wie Istanbul, kann man inzwischen diese Erfahrung machen.
• Ausreichende Ressourcen sollten in der benötigten Sprache vorhanden sein. Eine häufige Erfahrung ist die Limitierung von verfügbarem Personal; zumal wenn die angebotenen Standorte nicht in den Metropolregionen liegen. Da werden dann auch kleine Mitarbeiter-Bedarfe schnell zu einem Problem.
• Die Zusatzkosten für Datenleitungen schlagen mittlerweile nicht mehr in dem Umfang zu Buche, wie noch in den Anfängen des Nearshorings. Sie sollten aber immer noch als Kostenpunkt in der Überlegung einbezogen werden.
• Auf viele potentielle Nutzer wirken Aspekte der Datensicherheit abschreckend. Nach wie vor lehnen Unternehmen Nearshoring deshalb völlig ab. Helfen kann hier eine behördliche Bescheinigung für die Datensicherheit. In der Regel sollte die Datenhaltung auch nicht in dem Drittland erfolgen, sondern in Deutschland verbleiben und lediglich der Systemzugriff vom Ausland aus möglich sein.
• Aus rechtlicher Sicht ist es empfehlenswert, wenn das anbietende Unternehmen seinen Sitz in Deutschland hat, um Ansprüche leichter durchsetzen zu können.
• Unter Compliance-Aspekten sollten Arbeitsverträge nahe an dem deutschem Standard sein.
• Die politische Lage des angebotenen Landes sollte beachtet werden.
Bei Berücksichtigung der o.a. Punkte ist Nearshoring nach wie vor interessant unter Kosten- als auch Qualitätsgesichtspunkten. Allerdings sollten die Kostenvorteile mittelfristig vertraglich gesichert werden, um einer Lohndynamik zu begegnen. Zur Minimierung verbleibender Risiken empfiehlt sich eine „Beimischung“ zu dem übrigen Dienstleisterportfolio; häufig werden Serviceleistungen im Inland und Nearshoring aus einer Hand angeboten.
– Joachim Hofsähs (Geschäftsführender Gesellschafter)
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