Verantwortliche im Kundenservice stellen sich (und auch häufig uns als Berater) regelmäßig die Frage, was die großen Trends und Entwicklungen sind, für die sie sich und ihren Kundenservice vorbereiten sollten, um auch morgen noch für ihre Tätigkeit und Leistungserbringung gerüstet zu sein.
Ein Blick in die Kristallkugel und schon zeigt sich das Bild der Zukunft, klar, eindeutig und verlässlich. Leider ist das nicht der Fall und ein allzu naives Wunschdenken. Ich finde sogar: Zum Glück ist das nicht so! Denn so entbindet es eine Kundenserviceorganisation und seine Verantwortlichen nicht davon, sich regelmäßig und strukturiert mit der Umwelt und den ihren Kundenservice beeinflussenden Faktoren kritisch auseinanderzusetzen.
Doch wie kann man sich nun dem Thema nähern?
Ich unterscheide zunächst in „Trends und Treiber“ sowie in „externe und interne Einflussfaktoren“. Trends und Treiber sind noch relativ unkonkret und es ist heute (noch) unklar, wie sie sich über Zeit entwickeln und konkretisieren, ja ob sie überhaupt einen relevanten Einfluss auf den Kundenservice entwickeln. Hier handelt es sich eher um übergeordnete Themengebiete. Externe und interne Faktoren hingegen sind sehr konkrete und fassbare Einflüsse, die eine konkrete Vorbereitung für den Kundenservice sinnvoll oder nötig werden lassen.
Beschreibendes Beispiel:
Ein Beispiel für einen Trend und Treiber kann das Verhalten der Kunden zur zukünftigen Nutzung verschiedener alternativer Kontaktkanäle sein. Dass es künftig zunehmend verschiedene parallele Kanäle geben wird, ist sehr wahrscheinlich. Der grobe Trend dahin ist sehr eindeutig. Eine Ebene tiefer wird es interessant. Was sind die externe Einflussfaktoren, die es zu verfolgen gilt? Wieviel telefonischen Kontakt wird es künftig noch geben und wie stark werden andere Kontaktkanäle durch die Kunden und Interessenten frequentiert? Schaut man sich das Telefonieverhalten der Kunden in Richtung Service an, so sieht man zwar einen Rückgang in der Nutzung des Kanals Telefon – aber wie weit wird sich dieser fortsetzen? Wird das Telefon als Kontaktkanal irgendwann überflüssig, weil er zunehmend weniger frequentiert wird? Eine Antwort auf diese Fragen fällt schwer. Der Faktor „Rückgang des Telefonieverhaltens“ wird sicher eine wichtige Rolle spielen. Während 2005 noch ca. 80 Prozent aller Kundenanfragen im Service über das Telefon abgewickelt wurden, waren es 10 Jahre später nur noch knapp 60 Prozent und heute sind nicht mehr als 50 Prozent, vielleicht sogar geringfügig weniger. Aber ob und wie weit perspektivisch dieser Anteil noch weiter sinkt, ist unklar. Sicher noch etwas aber nicht mehr viel, so meine feste Hypothese.
Zudem ist der Trend und die Entwicklung zu neuen und weiteren Kunden zu hinterfragen. Wächst das Unternehmen auch mit seiner Kundenzahl und wird dadurch mit mehr Kundenkontakten aufgrund einer erhöhten Kundenanzahl gerechnet, dann bedeutet das im Zusammenspiel mit dem im letzten Absatz beschriebenen Trend, dass von jedem zusätzlichen Kundenkontakt ca. 50 Prozent auf den Kanal Telefon entfallen wird.
Sicherlich werden jetzt einige kritische Leser anmerken, dass sich auch Teile davon wiederum durch neue Technologien wie KI und Sprachbots automatisieren lassen. Auf der anderen Seite steht immer noch das Interesse für Vertriebsaktivitäten nach einem erfolgreich bearbeiteten Kundenkontakt durch Up- und/oder Cross-Selling. Zudem verteilen sich die anderen 50 Prozent der Kundenkontakte auf weitere Kanäle, von denen auch wiederum z.T. nicht alle Kontakte vollautomatisiert bedient werden können, trotz noch so guter E-Mail- und Chat-KI, die wir in den kommenden Jahren erwarten können. Lassen Sie uns daher die Nebeneffekte, die sowohl in die eine als auch die andere Richtung reichen werden, an dieser Stelle aus Vereinfachungsgründen zur besseren Veranschaulichung ausblenden. Fakt ist im angegebenen Beispiel: Die Ressource Mensch im Contact Center wird im oben beschriebenen Beispiel weiter benötigt werden.
Nun kommt es darauf an, sich mit dem Kundenservice so aufzustellen, dass man die Faktoren zueinander in Relation setzt und ihre Auswirkungen antizipiert. Wenn man weiterhin erwarten kann, dass das Telefon ein relevanter Kontaktkanal bleibt und das grundsätzliche Kontaktvolumen perspektivisch steigt, dann kann man sich mit der Frage beschäftigen, ob mit der bisher verfolgten Strategie wirklich ausreichend Ressourcen an Kundenberatern zur Verfügung stehen werden und wo das sein wird (intern oder extern – onshore oder nearshore usw.). Atmungsfähigkeit ist gefragt, um flexibel reagieren zu können und auch in zwei, drei oder noch mehr Jahren den Kanal Telefon qualitativ gut bedienen zu können.
Dieses gerade angerissene Beispiel bezog sich nur auf den Kanal Telefon. Das lässt sich natürlich für jeden anderen Kanal ebenfalls skizzieren.
Schnell wird deutlich, worauf es ankommt. Wer in der Lage ist, Trends und Treiber ebenso wie konkrete interne und externe Einflüsse zu beobachten, zu bewerten und für sich die richtigen Maßnahmen und Aktivitäten abzuleiten, der hat bereits viel gewonnen. Vorbereitet zu sein auf das, was mit hoher Sicherheit eintreten wird und die richtigen Rahmenbedingungen zur Reaktion zu schaffen für Trends, die noch nicht deutlich genug sind, um konkrete Maßnahmen zu entwickeln und zu ergreifen – das ist die hohe Kunst.
Ein Vergleich zum Fußball soll hier erlaubt sein: Wer als Abwehrspieler (natürlich auch auf jeder anderen Position) das Spielgeschehen aufmerksam verfolgt, mögliche Laufwege und Aktionen des gegnerischen Stürmers antizipiert, der kann im richtigen Moment den einen entscheidenden Schritt schneller am Ball sein als der Stürmer und vor dessen Einschuss den Ball wegspitzeln. Natürlich kann er auch mal daneben liegen. Aber wartet er, bis der Stürmer am Ball ist und agiert erst dann, ist es allemal zu spät.
Ein regelmäßiger Blick in die Kristallkugel zur künftigen Entwicklung(snotwendigkeit) des Kundenservice lohnt sich also. Und zwar nicht, um eine exakte Blaupause der Zukunft zu haben, sondern um sich bestmöglich auf wahrscheinliche Entwicklungen und Ereignisse so konkret wie möglich vorzubereiten.
Henning Ahlert – Managing Director
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