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Tipp KW 11 – 2022

BPO Sourcing – “Good Practices” im Rahmen von Leistungsausschreibungen (RFP) im Kundenservice

Die Umsetzung eines herausragenden Kundenservices ist zweifelsfrei mit Blick auf das stetig wachsende Anspruchsniveau des Konsumenten weiterhin und zunehmend erfolgskritisch, um die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens abzusichern, gelegentlich sogar hierauf zu gründen. War der Kundenservice vor wenigen Jahren noch verschrien als unvermeidliche Kostenposition (Cost Center), hat sich inzwischen allenthalben das Verständnis durchgesetzt, dass er längst zum Profit Center avanciert ist und wichtige Umsatzpotentiale aktiv hebt. Vielfach gilt: je austauschbarer die Produkte und Dienstleistungen, desto entscheidender ein positiv differenzierender Kundenservice.

Nicht selten stehen Unternehmen vor der Fragestellung, welches Operating Model – Inhouse, Outsourcing oder Hybrid – in der Berücksichtigung der Vielzahl an Einflussfaktoren überlegen erscheint, um eben diesen herausragenden Kundenservice in Qualität und Performance abzubilden. Hierbei gilt es, wesentliche Parameter in der Analyse zu berücksichtigen: Unternehmensgröße, Internationalität, Kontaktvolumen und -volatilität oder auch eigene (Steuerung-)Kompetenzen sind nur beispielhafte, aber längst nicht erschöpfende Variablen zu dieser strategisch bedeutsamen Entscheidungsfindung.

Sobald die Grundsatzentscheidung zu Gunsten einer (Teil-)Externalisierung der Services an einen BPO (Business Process Outsourcing) Partner getroffen ist, gilt es, einen geeigneten Vendor zu finden. Oftmals leichter gesagt als getan. Die Contact Center Branche ist bei allen Konsolidierungstendenzen weiterhin groß und umfangreich, neue Startups drängen mit neuartigen Geschäftsmodellen auf den Markt, Leistungserbringungen über flexible Work@Home Modelle spüren nach anfänglicher Skepsis einen ungeahnten Rückenwind. Zudem gilt es die Frage zu beantworten, aus welcher Destination heraus der (standortbezogene) Service erbracht werden soll: Onshore mit i.d.R. vereinfachter Steuerung und soziokultureller Nähe oder doch bevorzugt Near-/Offshore, insbesondere um etwa attraktive Kostenvorteile zu erzielen?

Um den nicht-trivialen Entscheidungsprozess strukturiert und im Einklang mit den eigenen Vergaberichtlinien und Policies umzusetzen, greifen Firmen in aller Regel auf das Instrument eines sog. „Request for Proposal“ (RFP) zurück. Der RFP beschreibt in kompakter Form wesentliche Zielstellungen, angeforderte (operative) Leistungsbestandteile sowie generelle Rahmenbedingungen, unter denen der Service zu erbringen ist. Die partizipierenden Dienstleister finden somit im RFP alle Informationen, die wesentlich für die eigene Entscheidungsfindung sind, um am Ausschreibungsprozess teilzunehmen und im Zuge dessen ein kommerzielles Angebot zu unterbreiten.

Doch wie gestaltet man nun konkret den Ausschreibungsprozess? Gibt es Fallstricke, Aktivitäten, die dringend empfohlen oder zwingend zu vermeiden sind? Nach etlichen Jahren der RFP Prozessberatung über verschiedene Mandanten und Verticals hinweg haben wir einige (Good) Practices identifizieren können, die aus unserer Sicht einen Unterschied in der RFP Prozessqualität und Entscheidungsfindung machen können:

(Good) Practice #1: Kriterienauswahl und -gewichtung (Scoring)

Die Geschäfte sind trotz mancher Parallele hinsichtlich ihrer Serviceerbringung zumeist grundlegend verschieden; konsequenterweise gilt es, einen Kriterienkanon individuell aufzubauen und die einzelnen Kriterien hierbei gemäß ihrer relativen Bedeutung zu gewichten. Als Modell hierzu empfiehlt sich das simple und hinreichend bekannte „Scoring“ Verfahren, da auf dieser Grundlage qualitative und quantitative Aspekt in einer Bewertung integriert und normiert werden können. Als Kriterien begegnen uns – neben dem kommerziellen Angebot – häufig die im Folgenden aufgeführten Aspekte in unterschiedlicher Gewichtung und Zusammenstellung: 

  1. Standortnähe 

Je näher der Standort, desto vereinfachter die Steuerung; lange Transportstrecken sind mit hohen Opportunitäts- und Reisekosten belegt und führen vielfach dazu, die physische mit einer bestenfalls virtuellen Nähe zu ersetzen. In regelmäßigen Zyklen ein immer wieder „reales“ Gefühl für den Standort, die Stimmung und Arbeitskultur zu entwickeln und Veränderungen frühzeitig wahrzunehmen, kann im Ergebnis erfolgskritisch sein, gerade wenn im operativen Geschäft oder in der generellen Zusammenarbeit auch einmal kleinere und gelegentlich anwachsende Herausforderungen lauern. Zudem gibt eine regelmäßige Präsenz des Vendor Managers den Kundenbetreuern die Möglichkeit, unmittelbare Wertschätzung zu erfahren und das Auftragsverhältnis aus der Abstraktheit zu lösen bzw. personifizierter wahrzunehmen.

  1. Kundenreferenzen
    Aussagekräftige Kundenreferenzen können helfen, Vertrauen in die Professionalität, Erfahrung, Steuerungs- und Lösungskompetenz des BPO Dienstleisters zu entwickeln. Auf dem Papier klingt vieles stimmig, eigene Kompetenzen erstrahlen mit überzeugenden Narrativen auf Website und Hochglanzbroschüre, doch spiegelt sich das vertrieblich flankierte Leistungsvermögen auch in der Wahrnehmung der Auftraggeber wider? Hier können sog. „Credentials“ – etwa „O-Töne“ oder direkte Peer-Interviews – helfen, die postulierte Umsetzungskompetenz des Vendors aus der Praxis heraus zu validieren.
  1. Vertical Expertise

Nicht jeder Contact Center Operator ist in allen Branchen gleichermaßen beheimatet. Nicht selten findet in einer komplexer werdenden Welt ein gewisses Maß an Branchen-Fokussierung statt. Hier empfiehlt es sich, einmal genauer hinzuschauen, welche Marktexpertise konkret vorliegt, um im Auftragnehmer gleichzeitig immer auch einen Partner zu haben, der wertvolle Referenzerfahrungen aktiv einbringen kann. Je frühzeitiger und verlässlicher (auch) der Partner Industrietrends aufspüren und damit verbundene Implikationen einschätzen kann, desto besser ist der Auftraggeber kraft des partnerschaftlichen Dialogs für die Zukunft sensibilisiert und gewappnet.

  1. Personal Fit

Die Kundenberatung erfolgt trotz aller Digital- und Self-Service Angebote noch immer maßgeblich zwischen Menschen. Der Agent ist das unmittelbare Sprachrohr und damit der Botschafter des Unternehmens in Richtung der Kunden. Die Qualität in Bezug auf die Ausübung des Kundendialogs ist oftmals einer der Haupttreiber für Zufriedenheit, Begeisterung und Loyalisierung. Damit ist es umso wichtiger, Menschen mit dieser Aufgabe zu betreuen, die sich mit dem Unternehmen und der Marke identifizieren und die Unternehmenswerte des Auftraggebers glaubwürdig vermitteln. Gerade auch die Steuerungsinstanz des Vendor Managers sollte mit den Overhead-Funktionen ein gutes, professionelles Level der Zusammenarbeit finden können, ein Aspekt, der im Rahmen des Ausschreibungsprozesses ebenfalls zu beleuchten ist.

  1. RFP Compliance

Abschließend gilt es auch, die formale Konformität mit den vorgegeben Ausschreibungs-regularien zu überprüfen, nicht zuletzt um eine faire Vergleichbarkeit sicherzustellen. Je weiter seitens der BPO Partner hiervon abgewichen wird, desto schwerer fällt eine belastbare, partnerübergreifende Gegenüberstellung und Bewertung. Neben der genannten Einschränkung beinhaltet die (Dis-)Konformität mit den RFP-Vorgaben einen mittelbaren Anhaltspunkt für den Auftraggeber im Hinblick auf Verlässlichkeit, Disziplin und Steuerungsfähigkeit des jeweiligen Partners. Gelegentlich kann eine deutliche Abweichung der RFP-bestimmenden Vorgaben sogar den Ausschluss aus der Vergabe zur Folge haben.

Wie bereits oben skizziert, stellen die hier aufgeführten Kriterien nur einen rudimentären Ausschnitt dar. Je nach Geschäftsmodell, strategischer Ausrichtung oder auch Wachstumsambition lassen sich die oben genannten Dimensionen um weitere Kriterien zielgerichtet erweitern oder im Zusammenspiel modifizieren. Gleichzeitig gibt es keine Faustregel, die besagen würde, wie viele verschiedene Kriterien in den Entscheidungsprozess mindestens/maximal zu integrieren seien. Die Wahl des pragmatischen Scoring Verfahrens offeriert hier dem Entscheider eine hohe Flexibilität nach Belieben zu skalieren. Wichtig hierbei ist jedoch, dass die Kriterien möglichst trennscharf zueinanderstehen, also keine signifikante Korrelation untereinander aufweisen, da es andernfalls zu impliziter Mehrfacherfassung (Überrepräsentanz) und damit wenig belastbaren Ergebnissen kommt.

(Good) Practice #2: Standortbesichtigung

Die Pandemie hat die Welt gründlich auf den Kopf gestellt und im Ergebnis mit so manch tradierter Mär aufräumen können: Der Kundenservice kann „remote“ (durchaus) hervorragend gelingen, ohne wie auch immer geartete Qualitätseinbußen nach sich zu ziehen; hierzu gibt es inzwischen etliche empirische Belege. Dennoch neigen manche Auftraggeber (weiterhin) dazu, die Serviceerbringung an einem physischen Standort zu präferieren. Genau dann sollte im Rahmen des RFP Prozesses der Standort aufgesucht werden, um ein Gefühl für die Räumlichkeiten, die Umgebung, das Personal, den Spirit, etc. zu entwickeln. Gerade die ersten spontanen Gefühlsimpulse im Betreten der „Fläche“ sind ein guter Gradmesser dafür, ob sich prinzipiell ein attraktiver, hochwertiger Service aus diesem Standort heraus erbringen lässt. Verdrecktes Mobiliar, verschmutzte Wände, unzureichende IT Hard-/Software, fehlende Sozialflächen, eine (zu) hohe Geräuschkulisse, selbst mangelnde ÖPNV Anbindungen können mögliche Gründe sein, die negativ auf die Kundenbetreuer einwirken und sie in ihrer Leistungsbereitschaft und -motivation strukturell hemmen.

(Good) Practice #3: Contract Compliance (frühzeitige Einbindung wesentlicher Vertragsinhalte)

Oftmals stellen wir in unserer Beratungspraxis fest, dass mit hohem Aufwand auf Basis vergleichsweise objektiver Kriterien der (vermeintlich) beste Contact Center Operator ausgewählt wird. Es wird immense Zeit investiert in der Anfertigung eines präzisen und gleichzeitig möglichst umfassenden RFP. Neben den Fachbereichen wird das interne Sourcing bzw. Procurement eingebunden, um hier die Rechtmäßigkeit des Entscheidungsprozesses sicherzustellen und die Verhandlungsstärke des Auftraggebers zu festigen. Doch auch der gründlichste Auswahlprozess ist nur so viel wert, wie es gelingen kann, in den nachgelagerten Verhandlungen kommerzielle und vor allem vertragliche Einigung herzustellen. Bei allen vertrieblich gefärbten Bekundungen im Vorfeld kommt es nach unserer Erfahrung nicht selten vor, dass man an den entscheidenden rechtlichen Vertragspassagen beidseitig ins Stocken gerät. Haftungs- und Kündigungsregelungen, der Umgang mit betrieblichen Veränderungen („Change Requests“), die Arithmetik und Wirksamkeit von Bonus/Malus Regelungen oder auch der kommerzielle Durchschlag exogener Rahmenfaktoren wie etwa der Mindestlohnanpassung lassen so manche idealisierte Partnerschaftsambition in der harten Realität ankommen. Auch langatmige Verhandlungsrunden sind kein Garant dafür, den verkanteten Zug schlussendlich wieder erfolgreich aufs Gleisbett setzen und die Partnerschaft formaljuristisch besiegeln zu können. Manches Mal bleibt am Ende dann doch nur die nüchterne Erkenntnis, dass es bei allen hehren Ansätzen kein Zusammenkommen geben kann. 

Um genau dieser mitunter schmerzlichen Erkenntnis mit einhergehenden hohen versunkenen (Opportunitäts-)Kosten frühzeitig zu begegnen, ist unsere dringende Empfehlung, einen ersten Vertragsentwurf gleich dem RFP beizufügen und über ein pragmatisches, hierauf referenzierendes Dokument („Contract Compliance Sheet“) wesentliche Abweichungen zum vorgeschlagenen Vertragstext durch die Provider einzufordern. Es geht hierbei explizit nicht darum, Vertragsverhandlungen zu torpedieren oder zu umgehen, sondern lediglich die grundsätzliche Konformität mit wesentlichen Vertragsinhalten noch vor dem Selektionsprozess zu identifizieren. Dies soll zum einen die Partnerselektion um ein wichtiges Kriterium erweitern und absichern, gleichzeitig die Verhandlungsposition des Auftraggebers unterstützen, da im Rahmen der Verhandlungen mit keinen wesentlichen Abweichungen zu rechnen sein dürfte. 

(Good) Practice #4: Commercials

Zuletzt bleibt noch der bescheidene, aber durchaus nicht unwesentliche Hinweis, dass die Auftraggeber bei allen berechtigten Ambitionen, im Rahmen der Verhandlungen einen attraktiven Preis zu erzielen, gut beraten sind, den Bogen hierbei nicht zu überspannen. Qualität kostet! Diese vielfach zitierte und immer noch gültige Weisheit gilt, auch und gerade im Kontext einer personenintensiven Dienstleistung. Eine Verhandlungsstrategie, welche den Auftragnehmer kommerziell nahezu in den Knie zwingt, mündet im Laufe des Betriebs allzu häufig in vermeidbaren, zähen Diskussionen und lässt Unverständnis auf allen Seiten anwachsen. Unstrittig, der Auftragnehmer muss den kommerziellen Rahmenbedingungen nicht zustimmen, tut er es aber doch, etwa um eine hochattraktive Referenz in sein Kundenportfolio aufzunehmen, ist das Problem oftmals vorprogrammiert: der Auftraggeber erfährt nicht die versprochene Qualität, die Agenten sind zunehmend de-motiviert, ihre Leistung nicht auch in kommerziellen Ergebnisbeiträgen abgebildet zu sehen und auch der Kunde findet als Konsequenz häufig nicht die gewünschte Serviceerfahrung vor. Zugegeben, das alles ist keine zwingende Kausalkette, dennoch ein Befund, der zum Nachdenken anregen kann. „Win-Win-Win“ Situationen beginnen dann zu entstehen, wenn der Dienstleister zumindest ein wenig kommerzielle Luft zu atmen und damit Spaß an der Erbringung der Leistung hat und auch die Kundenbetreuer selbst zumindest mittelbar hierüber die ersehnte Anerkennung und Wertschätzung erfahren.

Wie dargelegt, ist ein RFP-Prozess umfangreich und mit entscheidenden multidimensionalen Wechselwirkungen versehen. Um den Prozess souverän und professionell durchzuführen, bedarf es daher eines hohen Maßes an Struktur, zeitlichem Vorlauf und gewisser Erfahrungswerte. Die Unterstützung durch einen Sourcing / Procurement Bereich ist empfohlen, um hier auch formalen Vorgaben zu genügen. Der Leistungsumfang sollte individualisiert aufgesetzt werden und auch wesentlichen Hintergründe und Parameter klar umschrieben werden, um auch den RFP-Antworten belastbare Aussagen entnehmen zu können. Größere Interpretationsspielräume sollten möglichst vermieden werden. Die kommerziellen Verhandlungen sind mit Bedacht zu führen, um eine chronische betriebliche Risikokulisse in Folge eines stark einseitigen Verhandlungserfolgs zu umgehen.

Thomas Dreesbach – Senior Consultant 

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