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Tipp KW 04 – 2024

Der Sonnenkönig — Vom Umgang mit Narzissten

In Anlehnung an den schönen Narziss, der außer sich selbst – in Form seines Spiegelbildes im Wasser – niemanden lieben konnte, sprechen wir bei Menschen mit überzogener Eigenliebe von Narzissten. Sie treten auch im Berufsleben auf, und können dort – je nach Ausprägung – auch ein Risiko für das Unternehmen darstellen. Es ist deshalb sinnvoll, sich mit diesem Phänomen einmal näher zu beschäftigen. Wir werden im Alltag bei Kollegen und Vorgesetzten natürlich keine tiefenpsychologische Diagnose erstellen können, es lohnt sich aber sicherlich, einen Blick auf die Menschen zu werfen, die vermehrt das Verhalten von Narzissten an den Tag legen.

Die Skala beginnt bei gesundem und sozialverträglichem Selbstbewusstsein, geht über lästiges „sich-in-den-Vordergrund-drängen“ um das Rampenlicht zu okkupieren bis hin zu bösartig-aggressivem Verhalten gegen scheinbare Feinde.

Ein Narzisst hat das übersteigerte Verlangen nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Er ist davon überzeugt etwas ganz Besonderes und einzigartig brillant zu sein, und erwartet daher bedingungslose Unterstützung und positive Verstärkung bis zu offener Bewunderung. Bei der Verfolgung seiner Ziele ist er rücksichtslos und in der Wahl seiner Mittel oft nicht zimperlich. Wenn es ihm nutzt, manipuliert er sein gesamtes Umfeld.

Ein Narzisst schafft häufig den Aufstieg in Führungspositionen. Die Chance für Unternehmen besteht darin, dass die Energie und die Überzeugungskraft des Narzissten sein Team zu Höchstleistungen motivieren können. Seine Risikobereitschaft – der „Mut zur Lücke“ und seine Unbeirrbarkeit – bringen zum Teil hervorragende Ergebnisse wie die Erfindung des iPhones oder den Bau von Schloss Versailles hervor. Die Erfolge des Teams und Anderer verbucht er natürlich für sich. Wer einen Anteil an „seinem“ Erfolg geltend macht und am Ruhm teilhaben will, erlebt was geschieht, wenn man einem Rudel Hyänen die Beute stehlen wollte.

Hierin liegt die Gefahr für Unternehmen. Mitarbeiter und Kollegen wollen i.d.R. nicht so behandelt werden und setzen sich zur Wehr, sobald sie erkannt haben, wie ihre Führungskraft wirklich tickt. Absentismus, Leistungseinschränkung und hohe Fluktuation sind oft die Kehrseite der Medaille, und jedes Unternehmen sollte sich fragen ob die Strohfeuererfolge diese Folgen wirklich wert sind.

Noch schlimmer wird es, wenn’s nicht so läuft. Der Narzisst ist hochsensibel gegenüber Kritik, sie ist für ihn eine persönliche Beleidigung. Der Narzisst sucht bei Misserfolgen die Schuld ganz natürlich bei anderen (oder behauptet, die Wahlen wären manipuliert worden). Das hat zur Folge, dass kein fruchtbarer Austausch im Team stattfindet; schlimmstenfalls lassen Mitarbeiter und Kollegen ihn bei offensichtlichen Fehlentscheidungen ganz bewusst auf den Abgrund zurasen, denn sie haben ja gelernt, dass es nichts nutzt, sondern vielmehr bestraft wird zu intervenieren.

Das ist auch im Callcenter-Umfeld schwierig. Der häufige inhaltliche Austausch zwischen Agent und Team Manager in Coaching, Workshops und Team Meetings birgt von jeher die Gefahr von Konflikten. Ist dieses schon im Normalfall, mit viel Empathie, Wohlwollen und hohem gegenseitigem Respekt manchmal ein Drahtseilakt, ist die Vorstellung, dass ein Narzisst daran beteiligt ist, erschreckend. Dabei kommt es im Kundenservice häufiger vor, dass nicht der Vorgesetzte, sondern der Mitarbeiter mit narzisstischen Zügen schwierig auftritt. Ich habe in der Vergangenheit schon häufiger anstrengende Diskussionen – auch auf dem Callfloor – miterlebt und korrigierendes Feedback geben müssen. Ganz besonders übel stößt es auf, wenn eine Diskussion zwischen Agent und Kunde entbrennt und es dem Mitarbeiter dabei wichtig erscheint, „im Recht“ zu sein. Er genießt es wohlmöglich, dem Kunden nicht helfen zu können/müssen („Da kann ich Ihnen leider nicht mehr weiterhelfen, da hätten Sie gestern anrufen müssen“ kann sehr sarkastisch klingen). Hier wird eindeutig eine rote Linie überschritten. Entschiedenes Handeln von Anfang an ist angezeigt, denn die Auswirkungen auf die CX sind verheerend.

Was also tun? Als Vorgesetzte haben wir die Verpflichtung, unser Team und die Organisation und die Kunden zu schützen. Wir können dieses Fehlverhalten nicht tolerieren und müssen den Narzissten entsprechend behandeln. Als Kollegen oder Mitarbeiter müssen wir uns schützen, wenn wir nicht die Freude am Arbeitsplatz verlieren wollen. Unsere Reaktion wird abhängig von der eigenen Position innerhalb des Teams/des Unternehmens sein, von der (Frustrations-)Toleranz und unseren Alternativen.

Einige Hinweise helfen beim Umgang mit der Situation (vor allem für Kollegen des Narzissten):

  1. Erkenne die Signale
    Wenn du Beispiele für ein paar der oben beschriebenen Verhaltensweisen erkennst, solltest du Verdacht schöpfen und sensibel für weitere Anhaltspunkte sein
  2. Nicht persönlich nehmen
    Du könntest über Wasser laufen, er würde dir vorhalten, nicht schwimmen zu können. Hinterfrage nicht dich, sondern die Gesamtlage
  3. CYA – Sei vorbereitet
    Wenn du in die Situation kommst, dich verantworten zu sollen oder Maßnahmen ergreifen zu wollen, ist es gut, eine Sammlung an Beweismaterial an der Hand zu haben
  4. Halte Abstand: Wenn ein Narzisst keine Anerkennung von dir bekommt, bist du für ihn uninteressant und er wird dich in Ruhe lassen
  5. Tausch dich aus
    Sprich mit deinen Kollegen, ob deren Wahrnehmung sich mit deiner deckt, unterstützt euch gegenseitig
  6. Kritisiere vorsichtig
    Wenn es sein muss, dass du etwas am Narzissten beanstandest, dann verpacke deine Kritik in Lob, äußere sie nie öffentlich
  7. Setze Grenzen
    Stelle klar, dass du Respekt im Umgang verlangst, erwarte nicht zu viel
  8. Hol Hilfe
    Auch hier gilt, es ist kein Zeichen von Schwäche, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn man sie benötigt. Die Personalabteilung sollte in der Lage sein, dich zu unterstützen
  9. Zieh die Reißleine
    Ehe du selbst Schaden nimmst, nimm deinen Hut

Für Vorgesetzte gilt zudem:

  1. Stelle das Team in den Vordergrund. Der Gesamterfolg zählt, und nicht der Glanz eines Einzelnen – auch deiner nicht
  2. Mache einem Narzissten sehr deutlich, dass es eine Zero-Tolerance-Politik für unangemessenes Verhalten gibt
  3. Beobachte genau, ob die Grenze zum Mobbing überschritten wird, sprich mit der Personalabteilung
  4. Trenne dich nötigenfalls vom Narzissten

Narzissten in Unternehmen – insbesondere in Führungspositionen – sind keine harmlosen Nervensägen, sondern vergiften die Unternehmenskultur nachhaltig und richten mittel- und langfristig Schaden an. Das Rampenlicht, das sie für sich in Anspruch nehmen, hinterlässt letztendlich nur verbrannte Erde. Um es deutlich zu machen: Nicht jeder selbstbewusste Mitarbeiter oder Vorgesetzte ist ein Narzisst, ganz und gar nicht. Im Gegenteil – eine wirklich extreme und risikobehaftete Ausprägung ist vergleichsweise selten. Jedoch: Narzissten kommen vor. Es hilft, sich über die auftretenden Mechanismen im Klaren zu sein – für den Fall der Fälle

Lars Scheffen – Senior Consultant

 junokai

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