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Tipp KW 7 – 2020

Prozesse wirklich zu Ende denken – im Detail und für alle Kundentypen

Reisen bildet, sagt man. Stimmt. Und Reisen sind immer wieder eine gute Gelegenheit, das eigene Verhalten und das eigene Wissen zu hinterfragen, und aus Erlebtem zu lernen. Aus guten Erfahrungen wie auch aus schlechten. Ich durfte das erst neulich auf einer Australienreise wieder selbst erleben.

Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Vier Wochen in Australien, um die Familie zu besuchen und einen Teil dieses wunderbaren Kontinents zu bereisen. Also besorgte ich mir direkt am Flughafen eine Prepaid-SIM-Karte, um die Kosten im Griff zu haben und mit meiner deutschen Karte nicht in eine der vielen Roamingfallen zu tappen. Ich wählte Telstra, weil ich dort die mit Abstand beste Netzabdeckung erwarten kann und weil Telstra gute Bundle-Angebote mit viel Datenvolumen zu attraktiven Preisen im Programm hat. Aber leider, wie sich gezeigt hat, seine Prozesse nicht im Griff hat …

Jährlich besuchen ca. 8 Millionen Touristen dieses Land – was immerhin fast ein Drittel der gesamten Einwohnerzahl ist. Man möchte also annehmen, dass die Mobilfunkanbieter auf Ausländer als Kunden vorbereitet sind.

Wer in Deutschland schon mal eine neue Prepaid-Karte registriert / freigeschaltet hat, der weiß: Das ist ein Standardprozess, der läuft „zack-zack“ online, und in wenigen Minuten kann ich meine neue Karte nutzen. Zumindest ist das für deutsche Staatsbürger so. Ich gebe zu, ich weiß nun nicht wie sich das für Menschen mit ausländischem Pass darstellt. Anhand meiner Erlebnisse in Australien kann ich den deutschen Mobilfunkanbietern aber nur dringend ans Herz legen: Werfen Sie sicherheitshalber nochmal einen Blick auf Ihre zugehörigen Prozesse, auch im Detail.

Denn auch in Australien soll die Aktivierung der Karte eigentlich ganz einfach online funktionieren. Eigentlich. Für Australier mag das auch zutreffen. Daten ins Formular eingeben und gut. Aber ich bin mit meiner Karte und meinem deutschen Pass genauso daran gescheitert wie mit der Karte meiner Frau, und auch mein ebenfalls in Australien weilender Schwager war nicht sehr erfolgreich. Für jede Karte mussten wir die Hotline anrufen und die Karten manuell aktivieren lassen. Was pro Karte unglaubliche 30 Minuten (oder einmal auch länger) gedauert hat. In dieser Zeit mussten die armen, aber zumindest immer freundlichen Servicemitarbeiter offensichtlich diverse Datenbanken und Tools bedienen, mussten gemeinsam mit dem Kunden am Telefon ätzend lange Systemwartezeiten überbrücken und sich mir nicht erschließende weitere Tätigkeiten durchführen, bis die Karte endlich aktiviert war. Wir erinnern uns, die Freischaltung einer SIM-Karte ist eigentlich ein Standardprozess …

Woran es vermutlich liegt, dass der Prozess für uns nicht online funktionierte? Dazu gleich mehr. Dass aber auch der manuelle Prozess so unglaublich lange dauert, ist das eigentliche Drama. Ich kenne die Tools und Vorgehensweisen nicht, aber: Das ist nicht kundenfreundlich. Und vor allem: Das kostet Geld. Viel Geld. Lassen Sie uns den Aufwand, den Telstra in Australien dafür betreibt, einmal gemeinsam abschätzen:

  • 8 Millionen Touristen kommen jährlich ins Land
  • Bei der heutigen Verbreitung von Smartphones und Tablets kann man annehmen, dass 50% davon sich vor Ort eine SIM-Karte kaufen: 4 Millionen
  • Sagen wir, der Online-Fehler betrifft 25%, das sind 1 Million Kunden
  • Nehmen wir konservativ an, dass Telstra als Marktführer nur 25% dieser Karten verkauft (vermutlich sind es mehr), also müssen 250.000 Kunden die Hotline anrufen
  • Diese Viertelmillion Kunden produziert eine Viertelmillion Aktivierungscalls, die jeweils eine halbe Stunde dauern. Die Vollkosten für eine Stunde Servicecenter sind mit 25 € sicher auch in Australien nicht zu hoch gegriffen.
  • Telstra entstehen also jährlich Kosten von über 3 Millionen Euro. Weil die Online-Aktivierung nicht richtig funktioniert. Und weil die manuelle Aktivierung so lange dauert.

Ja, so ist das eben, könnten Sie sagen. Es kann nicht immer alles funktionieren, vor allem bei Sonderfällen. Mag sein. In einem der Gespräche mit der Hotline konnte ich im Dialog mit der Mitarbeiterin aber den vermutlichen – nein, den wahrscheinlichen – Grund für die gescheiterte Online-Aktivierung recht schnell herausarbeiten:

Es liegt wohl an den unterschiedlichen Bezeichnungen und Verwendungen der Vornamen und Namen in Australien und Deutschland, beziehungsweise an den unterschiedlich genutzten Feldern in unseren Pässen, den australischen Gepflogenheiten und der Visum-Datenbank Australiens. Daraus resultiert, dass das Telstra-System, das die Online-Eingaben meiner Pass-Daten mit offiziellen Datenbanken abgleicht, keine Übereinstimmungen findet und deshalb die Online-Aktivierung ablehnt. Um das zu erläutern:

In Deutschland gibt es Vorname(n) und Nachname, also zwei Felder:

  • Vorname(n): Max Klaus Christian
  • Name: Mustermann

Die Visum-Datenbank Australiens bildet das in ebenfalls zwei Feldern ab, wenn man sich online um ein Visum bewirbt:

  • Given Name(s): Max Klaus Christian
  • Family Name: Mustermann

Das Online-Formular von Telstra jedoch fragt ab:

  • First Name: xxx
  • Middle Name(s): xxx
  • Surname: xxx

Na? Was würden Sie an welcher Stelle eintragen? Ich verrate es Ihnen: Es ist egal. Herr Mustermann schafft es nicht, seine Passdaten korrekt einzutragen. Der Datenabgleich erfolgt mit den Visum-Daten, nicht mit der deutschen Datenbank der originalen Passdaten, aber auch das ist letztlich irrelevant. Er kann seine drei Vornamen nicht in „First Name“ eintragen, denn dort ist nur ein Wort zulässig. Also scheitert der Datenabgleich, denn in dem entsprechenden Feld im Visum stehen drei Namen. Er kann „Klaus Christian“ zwar als „Middle Name(s)“ eintragen, aber auch dann scheitert der Datenabgleich, denn nur „Max“ als „First Name“ stimmt nicht mit dem Visum überein, und die Felder werden offensichtlich nicht logisch zusammengeführt. Die Online-Aktivierung scheitert in jedem Fall – und glauben Sie mir, ich habe alle Kombinationen ausprobiert bevor ich die Hotline angerufen habe. Mein Schwager übrigens auch …

Eine schöne Geschichte. Aber was lernen wir nun daraus?

In a Nutshell: Telstra wirft jedes Jahr über Drei Millionen Euro zum Fenster hinaus, weil bei der Gestaltung des Online-Formulars offensichtlich nur an Australier und ihre Gepflogenheiten im Umgang mit Namen gedacht wurde, und nicht an Ausländer. Zumindest nicht an alle.

Dieser Fall hier ist aber mehr als eine exotische Geschichte. Denn so oder so ähnlich begegnen uns in unserem Berateralltag immer wieder Brüche im Kundenerlebnis. In Prozessen, in Formularen, auf Webseiten. 

Was Sie tun können, um das zu vermeiden:

  • Denken Sie Prozesse immer komplett End-to-End und versuchen Sie wirklich alle Sonderfälle oder Abweichungen von vornherein zu bedenken und idealerweise zu lösen. Nehmen Sie Kollegen aus anderen Bereichen und Fachabteilungen dazu, um nicht in Ihrer eigenen Filterblase festzustecken.
  • Gestalten Sie Prozesse, Schritte und Formulare so generisch wie möglich, so einfach wie möglich, so wenig länder-, sprach- und kulturspezifisch wie möglich. Je komplexer ein System, desto schwieriger ist es zu überblicken, zu verstehen, zu messen und zu optimieren. Das gilt für Online-Prozesse ebenso, wie zum Beispiel für telefonische Voiceportale und IVRs.
  • Denken Sie beim Gestalten von Prozessen und Formularen immer an ihre Kunden, und zwar an alle. Denken Sie aus Kundensicht. Blicken Sie über den Tellerrand. Nehmen Sie verschiedene Perspektiven ein. Spielen Sie Szenarien durch. Ein gutes Werkzeug dazu ist CJM, das Customer Journey Mapping. Dazu finden Sie in den Tipps der Woche von junokai einige wertvolle Beiträge.
  • Und nicht zuletzt: Analysieren Sie regelmäßig ihre bestehenden Prozesse und deren Durchlaufzeiten und Abbruchquoten. Und die Inbound-Volumenverteilungen ihrer Serviceeinheiten. Denn in diesem konkreten Beispiel sollte man eigentlich erwarten, dass die Online-Abbrüche und die langen manuellen Aktivierungszeiten längst irgendwelche Alarmglocken schrillen ließen …

Am Ende geht es immer um den Dreiklang aus Kundenerlebnis, Kostenoptimierung und Revenue/Unternehmenserfolg. Verkauft hat mir Telstra die Karte, so weit so erfolgreich. Das Kundenerlebnis war hingegen nicht arg berauschend, und der Kostenaufwand für Telstra erscheint deutlich optimierungswürdig.

Machen Sie es besser.

Gerhard Klose – Senior Berater

 junokai

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