DE | EN

Tipp KW 43 – 2016

Neulich an einem typischen Abend an irgendeinem Flughafen in Deutschland: Passagiere checken wie gewohnt an einem der verfügbaren Service-Terminals ein, bis ein technischer Defekt die Systeme paralysiert und es damit unmöglich ist, ein Bordticket auszudrucken. Zwar existieren traditionelle Checkin-Schalter, welche jedoch nur in geringer Anzahl mit Personal besetzt sind und diese sind definitiv nicht in der Lage, die große Anzahl an Passagieren in der notwendigen Zeit bis zum Abflug rechtzeitig abzufertigen.

Gemüter und Emotionen kochen hoch und gefühlt wird, nach schier endloser Wartezeit, von einigen Passagieren im Gepäck nach Mistgabeln, Fackeln und weiteren adäquaten Accessoires gesucht, da man sonst fürchtet den Flug in den wohlverdienten Feierabend im Kreis der Familie, einen Anschlussflug oder Termin zu verpassen.

Einige Passagiere weisen jedoch darauf hin, dass die Möglichkeit besteht ein Bordticket via App zu erhalten und schnell wird auch mit Hilfe der verfügbaren Mitarbeiter der Airline am Service-Terminal die App bei anderen Passagieren auf ihren Smartphones installiert und diese können sich in wenigen Schritten ihre Boardkarte online abrufen und damit noch rechtzeitig einchecken.

Letztlich kann die Maschine pünktlich starten und noch während des Boardings bekommt man als Echo der mitfliegenden Passagiere mit, dass viele zukünftig nur noch über diesen Weg einchecken wollen, weil dies doch so flexibel, bequem und einfach geht.

An diesem Beispiel zeigen sich mehrere Aspekte einer in diesem Fall ungeplanten, jedoch erfolgreichen Push-to-Digital Maßnahme:

1. Es gibt eine funktionierende digitale Alternative, welche das Kundenbedürfnis ohne Einschränkungen erfüllt.

Oft liefern digitale Lösungen in Portalen oder Apps nur eingeschränkte oder abgespeckte Service-Portfolios, obgleich dieses sowohl technisch als auch prozessual umsetzbar wäre. Hierbei können mehrere Faktoren eine Rolle spielen wie zum Beispiel:

– Befürchtungen, dass der Kunde zukünftig den Point of Sale/Service nicht mehr so oft frequentiert, Vertriebspotenzial verloren geht und damit Churn-Potenzial steigt.

– Nicht optimale oder effiziente Prozesse oder Probleme, welche bekannt sind und bei denen man aus Unternehmenssicht ein Risiko sieht, diese über Onlinekanäle transparent zu machen.

Nur wenn man mindestens die gleichen Service-Funktionen und eine vergleichbare Bearbeitungszeit wie an anderen Service-Schnittstellen wiederfindet, ist eine langfristige und nachhaltige Migration auf eine digitale Plattform zu erwarten. Sobald wichtige Elemente aus Kundensicht nicht verfügbar oder vorhanden sind, werden Kunden sich wieder traditionellen Service-Kanälen zuwenden und einen wiederholten Versuch, eine digitale Option zu nutzen, in der nächsten Zeit unterlassen.

2. Die Nutzung der digitalen Option ist einfach, verständlich und dabei schnell und flexibel durchzuführen

Folgende Elemente zur erfolgreichen Push-to-Digital Maßnahme waren im beschriebenen Beispiel berücksichtigt:

Die App konnte schnell installiert werden und es waren nicht viele Schritte dafür notwendig, sich das gewünschte Ergebnis anzuzeigen. Hier liegt oft eine der Hauptursachen für die mangelnde Nutzung von Apps oder digitalen Lösungen:

– Häufig wird allein für allgemeine Informationen und Anfragen über App oder Online-Portale eine vorherige Registrierung mit Namen, Adresse und Email-Adresse abgefordert und viele Nutzer scheuen diese Hürde. Es macht Sinn, allgemeine, unkritische Informationen frei und ohne zusätzliche Registrierung oder Abfrage von unnötigen Daten verfügbar zu machen und erst in individuellen und notwendigen Fällen eine Authentifizierung abzufragen.
Zusätzlich war die benötigte Funktion in der App bzw. der Service sofort und ohne lange Suche zu finden und mit wenigen Schritten konnte das gewünschte Ergebnis erzielt werden.Bei jedem Design eines Service-Prozesses ob nun online, App oder traditionell gilt daher auch hier: „Make it simple and easy to use.“

3. Einheitlichkeit von Servicewelten

In Zeiten von Smartphones versuchen Kunden Serviceanliegen meist über mobile Devices zu lösen, was natürlich auch im Sinne der Unternehmen ist. Hierbei spielen Apps eine treibende Rolle, da dadurch zudem auch Content, Vertriebs- und Reichweitenthemen Berücksichtigung finden.
Wenn man sich dann die Self-Service App auf einem Smartphone im Vergleich zu Service-Lösungen auf der Internetseite des gleichen Unternehmens ansieht, entdeckt man oft deutliche Unterschiede:

– Die Struktur der Hilfeseiten als auch Layout und Haptik auf der Homepage entspricht nicht der Struktur in der App und somit ist der Nutzer gezwungen, sich abseits der gewohnten Lösungspfade bis zu seinem Anliegen durchzusuchen.

– Es werden unterschiedliche Bezeichnungen genutzt oder, zur Optimierung auf ein kleines Display, Akronyme verwendet, die der Nutzer nicht kennt oder versteht.

Hier gilt: Möglichst einheitliche Strukturen und Lösungswege auf allen Service-Kanälen und Plattformen etablieren. Somit findet der Kunde sich immer wieder gut zurecht, da er sich nicht jedes Mal umstellen muss, sobald er einen anderen Kanal nutzt.

4. Die Nutzung der Option wird durch mehrere Seiten und Hilfsmittel unterstützt, um individuelle Probleme abschließend zu lösen

In dem beschriebenen Beispiel waren neben den Servicemitarbeitern der Airline auch Passagiere bereit, anderen Mitfliegern zu helfen. Zudem gab es auf der App ein Video, dass den Prozess in Bildern und klaren Schritten in mehreren Sprachen beschrieb. Letzter Punkt war insofern wichtig, da nicht alle Passagiere die Landessprache oder Englisch verstanden.

– Dieser Bereich wird häufig stiefmütterlich behandelt, da man davon ausgeht, dass die Prozesse aus Kundensicht automatisch nachvollzogen werden und selten Ausnahmen entstehen. Wahr jedoch ist: Aus Kundensicht ist jedes Problem eine Ausnahme und ein Individual-Fall und er findet dieses nicht immer auf Anhieb in FAQs oder Hilfeseiten, da für ihn die Übersetzung aus seiner Problemwelt in eine Prozesswelt aus Unternehmenssicht nicht immer gelingt. Je stärker hier mit Maßnahmen wie intelligente Suchfunktionen in einer App, Erklärvideos, Nutzerforen und verständlichen Problem-Bezeichnungen in den Hilfeseiten aus Kundensicht flankiert werden, wird auch eine nachhaltige Nutzung der digitalen Self-Services gestärkt.

5. Der Kunde bekommt zusätzlich zur Lösung einen Mehrwert, der ihn belohnt und dazu (ver)führt, die Option auch in Zukunft zu nutzen

Der wichtigste Punkt in unserem Beispiel ist offensichtlich: Das Problem der Kunden konnte abschließend gelöst werden – nun können wir wie gewohnt weitermachen. Aber es gibt noch mehr:

– Die Tatsache, dass sich die Kunden selbst helfen konnten, bedeutet für viele dieser Nutzer eine subjektive Belohnung und positive Erfahrung. Dies beinhaltet auch eine höhere Repetition-Rate die digitale Lösung bei zukünftigen Anliegen in diesem Unternehmen zu nutzen.

– Derartige Success Stories werden zudem gerne im Kollegen- oder Familienkreis geteilt; schließlich hat man ja etwas Ungewöhnliches zu berichten. Wenn dann auch wie in diesem Fall noch ein positives Happy End beinhaltet ist, kann eine Werbung für digitale Services dieses Unternehmens kaum günstiger oder besser sein.

– Der neue Service-Weg hat für den Kunden deutliche Vorteile hinsichtlich Flexibilität, Geschwindigkeit und Bequemlichkeit.

– Vielfach werden zudem Nutzungen von digitalen Services mit Bonuspunkt-Systemen oder Zusatzleistungen incentiviert. Hier sollte jedoch genau abgestimmt werden, welche Services sich tatsächlich dafür eignen und wie diese Belohnungen ausgestattet werden. Zum Beispiel wird allein die Öffnung der App einmal im Monat zu belohnen eine deutliche höhere Anzahl an App-Downloads zur Folge haben, aber wenig Aussagekraft ob hierdurch tatsächlich eine Nutzung des Kunden die Folge ist.

Es gibt neben diesen fünf aufgeführten Punkten natürlich noch eine Vielzahl weiterer Punkte, die bei einer erfolgreiche Push-to-Digital Strategie zu berücksichtigen sind. Hierbei spielen unter anderem auch entsprechende Bewerbungen der App oder Online-Hilfe auf allen Kanälen eine entscheidende Rolle. Aber allein durch Berücksichtigung dieser Punkte eliminiert man bereits den Großteil von Fehlerpotenzialen bei einer erfolgreichen Push-to-Digital Strategie.
Denn letztlich möchte und darf man sich nicht darauf verlassen oder warten, dass irgendwann ein Problem auftritt, dass die Kunden zwingt sich erstmalig mit einer digitalen Option zu beschäftigen.

– Carlos Carvalho (Berater)
junokai

Um den Tipp der Woche zu abonnieren, klicken Sie hier.