Gibt es überhaupt einen triftigen Grund, unbedingt ein Sprachportal einzusetzen? Darüber, das stellen wir in unseren Projekten fest, machen sich die wenigsten Kundenservicebereiche und Unternehmen wirklich Gedanken, um abgeleitet aus einer überlegten und im Unternehmen geteilten Strategie, die richtigen Maßnahmen für die Bedienung von Kunden mithilfe eines Sprachportals, auch häufig als Interactive Voice Response (IVR) bezeichnet, zu planen und umzusetzen.
Bevor man die Frage der Gestaltung eines Sprachportals stellt, sollte man zunächst überlegen, wie der eigentliche Output (Information, Lösung des Kundenanliegens) gegenüber dem Kunden aussehen kann, um Anfragen des Kunden zu dessen Zufriedenheit zu beantworten. Hierfür können drei grobe Kategorien gebildet werden:
Zunächst muss klar strukturiert werden, welche Prozesse im Service in welche der Kategorien fallen, denn dann kann entschieden werden, ob man z.B. einen Prozess der Kategorie 1 auch voll automatisiert ausspielen will. Möglicherweise ist das ein Prozess, der ein hohes Up- und Cross-Sellingpotenzial bietet, sodass bewusst entschieden wird, diesen doch als Kategorie 3-Kontakt, nämlich durch einen Agenten, bearbeiten zu lassen.
Wenn diese Übung erledigt ist und alle Prozesse gemäß der drei Outputkategorien beurteilt wurden, kann dazu übergegangen werden, die Verteilung im Eingang der Kontakte zu ordnen.
Den Kunden zur richtigen Outputkategorie zu bringen, sollte in der Regel „schnell, einfach und möglichst direkt“ erfolgen. (Bitte prüfen Sie einmal ehrlich Ihre IVR, ob das heute der Fall ist…)
Am besten wäre es offensichtlich, wenn man den Kunden und/oder sein Anliegen sofort erkennen würde, um ihn ohne lästige Verzögerung der richtigen Outputkategorie zuzuführen. Also, Kunde ruft an, das System erkennt an der Rufnummer, an der Stimme oder anhand eines Identifikationskriteriums wie der Kundennummer, dass es Henning Ahlert ist. Wenn das System dann noch in der Lage ist, möglichst den tatsächlichen oder wenigstens den wahrscheinlichen Anrufgrund zu identifizieren, dann ist es möglich, Henning Ahlert direkt, und zwar ohne weitere Sprachsteuerung, zu der richtigen, definierten Outputkategorie zu routen. Eine weitergehende IVR wird überflüssig. Das bedarf natürlich einer tiefer gehenden Analytik auf Basis der bestehenden Informationen über den Kunden in den operativen Back End Systemen. Informationen wie der Bestellstatus, bereits laufende und noch nicht geschlossene Kundenvorgänge, automatisiert erkannte Störungen seines genutzten Produktes, kürzlich versendete Rechnungen oder Mahnungen sind Beispiele für diese möglichen Erkennungen, die nach Unternehmen oder Organisation selbstverständlich unterschiedlich sein können. In unterschiedlichen Projekten hat sich gezeigt, dass, je nach Branche, durchaus bis zu 60 Prozent von Kundenanliegen automatisiert aus den zugrunde liegenden operativen Systemen erkannt werden können, ohne dass ein weitergehender IVR Dialog mit dem Kunden gestartet werden muss, um dessen Anliegen zu erkennen.
Wenn das gelingt, bedeutet das, dass für bis zu 60 Prozent der Anliegen sofort entschieden werden kann, über welche der eingangs genannten drei Outputkanäle eine Antwort ausgespielt werden soll. Es bleibt „nur“ noch die Residualgröße (in diesem Fall von 40 Prozent) der Kontakte, die tiefer gehend nach dem Anrufgrund analysiert werden müssen. Wie kann diese Analyse nun stattfinden?
Auch hier sollte man sich zunächst vor Augen führen und fragen, wie komplex es wäre, diese Anliegen ggf. gleich zum Mitarbeiter zu routen, sofort und ohne weiterführende IVR. Da gibt es dann immer wieder Gründe, warum das nicht gehen kann oder soll. Zu viele komplexe Aufgaben und Prozesse, die in unterschiedlichen Skills der Mitarbeiter vorhanden sind, sodass einfach eine Vorqualifizierung der Anrufe stattfinden muss, um diese effizient in die richtigen Skills zu routen und unnötige Weiterleitungen von vornherein zu minimieren. Die interne Prüfung, ob der Grund für einen Einsatz die komplexen Skills in der Kompetenzverteilung der Mitarbeiter sind, sollte immer am Anfang stehen. Manchmal lohnt sich eine einfache Veränderung in der Skillverteilung, um sofort Komplexität aus einem Sprachportal zu nehmen.
Wenn der Einsatz einer IVR unbedingt notwendig ist, dann stellt sich als Nächstes die Frage, wie das Anliegen erkannt werden soll. Aber erst dann und nicht von vornherein. Auch hier sollte es eine Strategie geben: Soll der Kunde sein Anliegen frei schildern und soll versucht werden, im natürlichen sprachlichen Dialog mit dem Sprachportal das Anliegen zu identifizieren? Oder soll ein strukturiertes, vorgegebenes Angebot von Menüoptionen präsentiert werden, aus dem der Kunde seine Auswahl per Sprache oder Tastenwahl treffen kann? Am Ende muss diese Entscheidung idealerweise wieder mit der Kundenbrille fallen und mit den Bewertungskriterien, ob die Erkennung „schnell, einfach und möglichst direkt“ ist. Ein Sprachportal mit natürlicher Spracherkennung und Dialogen ist sicher eine tolle Lösung, allerdings nützt sie wenig, wenn die Erkennungsquote dessen, was der Kunde sagt, sehr schlecht ist. Dann ist es nicht mehr „einfach und schnell“. Und wenn der Kunde einmal in einem Dialog ist, egal ob in der freien natürlichen Sprachsteuerung oder im geführten Dialog, dann wird es wichtig, das Kundenerlebnis so zu konzipieren, dass der Kunde nicht genervt wird. „Ich habe Sie nicht verstanden….“, „meinen Sie xyz?…“, „ich habe Ihre Eingabe nicht verstanden…“, bis hin zur anscheinend nie aufhörenden Aufforderung, bestimmte Auswahlen zu treffen, ohne dem Kunden einen direkten Ausgang im Sprachportal z.B. zu einem Mitarbeiter zu ermöglichen.
Sie sehen an den Ausführungen in diesem Tipp, dass das Thema der (Nicht-)Nutzung eines Sprachportals wohl überlegt sein will und, wie immer, einer klaren Strategie folgen sollte. Anhand dieser lässt sich jede Aktivität auf ihre Wirkung überprüfen, egal ob sie komplexer in ihrer Implementierung ist, wie z.B. die automatisierte Anliegenerkennung aus operativen Systemen oder einfach sind, wie z.B. wohl gemeinte Ansagen, die die Wartezeit von Kunden unendlich verlängern.
Regelmäßig die eigenen Rufnummern zu kontaktieren und das Kundenerlebnis an sich selbst zu testen, ist oftmals ein guter Start, um das Thema Sprachportal perspektivisch zu ordnen und auf die (technologischen) Möglichkeiten der Zukunft vorzubereiten.
Henning Ahlert – Geschäftsführender Gesellschafter
junokai