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Tipp KW 30 – 2022

Der Wurm soll dem Fisch schmecken, nicht dem Angler

Das klingt nun nicht wie eine neue Erkenntnis, zugegeben. „Was für eine Plattitüde möchte uns der gute Mann denn hier als Tipp der Woche auftischen?“, fragen Sie sich vielleicht. Nun, der Beratungsalltag zeigt uns immer wieder, dass diese simple Wahrheit in Unternehmen oft nicht beachtet wird. Man orientiert sich – bewusst oder unbewusst – an internen Zielen, an internen Prozessherausforderungen, an internen Bedürfnissen. Und vergisst den Kunden gerade auch im anstrengenden und komplexen „Maschinenraum“ bei der Umsetzung eines Projekts.

Das passiert in allen Unternehmensbereichen, und das auch „ganz oben“. Beispielsweise in der Produktentwicklung, wenn interne Zielvorgaben (oft, ja fast immer geht es um Kostensenkungen) zu schlechten Produkten führen. Wer erinnert sich noch an die nachlässige Verarbeitung und Rostvorsorge des VW Golf III, den sogenannten „López-Effekt“ (José Ignacio López war ab 1993 bei VW als Vorstand für Produktionsoptimierung und Beschaffung hauptverantwortlich für massive Kostensenkungen zulasten der Qualität)? Das Image von VW nahm nachhaltig Schaden, erst der Golf IV mit seiner beispielhaften Qualität konnte das Jahre später wieder korrigieren.

Würmer im Customer Service

Wir möchten hier aber vom Customer Service sprechen. Nun findet sich ja bereits in dem Begriff selbst ein deutlicher Hinweis darauf, wer der Fisch sein sollte: Der Kunde, nicht das Unternehmen, nicht die Fachabteilung. Und doch zeigen uns Beispiele aus der realen Welt, dass die Angler (die Unternehmen) wohl mehr an sich selbst und die eigenen Ziele gedacht haben, als an die Fische (die Kunden). Zwei Beispiele: 

Beispiel: Digitale Voice Portale, die Kunden in Endlosloops zwingen

Kontaktvermeidung z. B. in der Telefonie ist eine gute Sache. Digitaler Selfservice in Apps, per Robotics-Sprachdialog oder per Webportal ebenso. Auch wir beraten unsere Kunden in diesen Themenfeldern und zeigen ihnen Wege in die digitale Zukunft. Doch ein wesentlicher Aspekt bei der Umsetzung solcher Projekte ist die Kundenorientierung, die Kundenzentrierung. Der oft gehörte Grundsatz „Der Kunde wählt den Kontaktkanal, der am besten zu ihm passt, selbst“ bedeutet eben auch, dass wir vermeiden sollten, Kunden aus Kontaktkanälen „mit Gewalt“ auszuschließen, weil wir dort unbedingt Kontakte reduzieren möchten, oder (aus Unternehmenssicht) neue, schlanke Prozesse etablieren. Es verärgert Kunden, wenn sie vom Voiceportal in einer Endlosschleife aufgefordert werden sich zu identifizieren und/oder zu authentifizieren, das aber nicht können (z. B. weil sie gerade im Auto sitzen und die PIN nicht zur Hand haben). Es ist wichtig, dem Kunden an solchen Stellen Ausstiegswege zu erlauben und trotzdem zum Agenten durchzukommen – auch wenn das dann möglicherweise die Bearbeitungszeit des Calls etwas erhöht bzw. einen alternativen Prozess zur Authentifizierung erfordert und damit den Aufwand im Customer Service wieder etwas steigert. 

Beispiel: Die Bank blockt E-Mail-Attachments

Ich selbst habe bereits mehrmals erlebt, dass ich einer bestimmten Bank (hier: einem Immobilienberater bei dieser Bank) zwar E-Mails schicken kann, aber Attachments vollkommen unabhängig vom Dateiformat vom Emailserver der Bank rigoros entfernt werden. Das geht so weit, dass der Mitarbeiter die Attachments nicht einmal nachträglich bei der IT anfordern kann. Als Grund werden natürlich Sicherheitsbedenken seitens der IT angeführt. Was man auch nachvollziehen kann. Man muss dann aufwändig (Medienwechsel, das sollten wir ja eigentlich vermeiden) auf die Website gehen, dort die richtige Unterseite finden, per Upload sein Dokument hochladen und dann hoffen, dass es zum richtigen Ansprechpartner gelangt und der es mit den E-Mails, die wir inzwischen ausgetauscht haben, in Verbindung bringt.  Viel Aufwand, leider kann es gerade bei Immobiliengeschäften hin und wieder auch zeitkritisch sein. Was allerdings unverständlich ist: Warum es im Jahr 2022 keine anderen technischen Möglichkeiten geben sollte (Spoiler: Die gibt es), Datensicherheit zu gewährleisten und trotzdem dem Kunden einfache, schnelle und intuitive Kommunikation zu ermöglichen – in dem Kanal, den er selbst gewählt hat. Kundenorientierung geht anders.

Positivbeispiel: Die Löffelchen im Waschmittelkarton

Und es geht tatsächlich auch anders. Ich kenne einen großen Waschmittelhersteller, der vor einigen Jahren einen cleveren Weg gefunden hatte, Kosten zu sparen, ohne die Kunden zu beeinträchtigen. In jedem Waschmittelkarton lag dort früher einer dieser Plastik-Dosierlöffel. Die nachvollziehbare Idee: Wenn der Kunde vorher schon einmal Waschmittel gekauft hat, wird er so einen Löffel vielleicht noch haben, also braucht er keinen neuen. Lassen wir also die Löffel weg. Aber halt, was ist mit Neukunden und denjenigen die den alten Löffel nicht behalten haben? Schwierig. Kurz und gut: Es wurde nach und nach bei einem immer höheren Anteil der Produktion der Löffel weggelassen – und zwar so lange, bis in Kundenfeedbacks und Kundenbeschwerden ein Anstieg festgestellt werden konnte. Der Löffel-Anteil in der Produktion wurde dann wieder ein klein wenig erhöht und dann so gelassen, und alle waren zufrieden: Der Hersteller, weil er deutlich weniger Dosierlöffel produzieren und ausliefern musste, und die Kunden, weil der Anteil in der Produktion immer noch hoch genug war, um auf die Masse gesehen die Kundenzufriedenheit hochzuhalten.

Hier wurde also nicht radikal und nach reinen Kostengesichtspunkten entschieden (dann wären die Löffel sicher ganz entfallen), vielmehr wurde ein Balancepunkt angestrebt, der allen gerecht wurde.

Die Balance ist das Entscheidende

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Selbstverständlich sind interne Unternehmensziele wichtig, müssen Kosten und Aufwände im Griff behalten werden, können Fachbereiche nicht frei und einzig im Kundensinne entscheiden. Es wäre blauäugig und weltfremd, das zu postulieren. Sich in der täglichen operativen Arbeit wie auch in den strategischen, richtungsweisenden Entscheidungen aber immer wieder – neben allen Verkaufs-, Kosten- und ROI-Reports und -Prognosen in großen, bunten, wichtigen Excel-Tabellen – auch zu fragen: „Ist das wirklich im Sinne unserer Kunden? Zahlt das wirklich auf zufriedene, treue, langjährige Kundenbeziehungen ein, oder ist es reiner Selbstzweck?“.

Im Beratungsalltag versuchen wir immer wieder, genau diese Fragen zu stellen. Und eine Balance zu finden zwischen Eigenbild und Fremdbild, zwischen eigenen Wünschen und denen der Kunden, zwischen Kosten und Customer Experience.

Das können Sie aber auch selbst, versuchen Sie es gerne. Langfristig zählen zufriedene Kunden immer mehr als kurzfristige Kostensenkungen.

Gerhard Klose – Principal Consultant

junokai

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