Kunden, die sich in einem Contact Center melden, etwa weil sie ein Problem mit einem erworbenen Produkt haben oder sich über ein noch zu erwerbendes Produkt informieren wollen, sind in aller Regel mit Marktinformationen auskunftsfreudiger, an einem konkreten Geschäftsabschluss interessierter und darüber hinaus auch bereiter, Verkaufsargumente anzuhören und abzuwägen. Wird dieses Potential für eine stärkere Kundenbindung oder zur Gewinnung von Bestandskunden nicht genutzt, dann werden aussichtsreiche neue Geschäftsmöglichkeiten nicht wahrgenommen. Kundenservicemitarbeiter, die neben den klassischen Serviceleistungen auch aktiv im Vertrieb tätig sind („Sales and Support“), sind daher mittlerweile in vielen leistungsstarken Unternehmen die Regel.
Gleichwohl gibt es immer noch viele Betriebe, die zwischen Vertrieb einerseits und Kundenservice andererseits strikt trennen. Es wird unterstellt, Kundenservice- und Vertriebsaufgaben seien zu unterschiedlich und damit nicht miteinander vereinbar. Das ist aber nicht richtig. Für die Einführung von „Sales and Support“ in Contact Centern sind vor allem drei für den Erfolg entscheidende Aspekte zu berücksichtigen:
1) Vertriebsschulungen
Kundenservicemitarbeiter sind nur dann in der Lage, auch in Vertriebsangelegenheiten kompetent zu wirken und zu agieren, wenn sie das fachspezifische Know-How beherrschen. Das setzt entsprechende Schulungen voraus. Zu den Schulungsschwerpunkten zählen vor allem Informationen über das eigene Unternehmen, die eigenen Produkte und Trends, aber auch Informationen über die Konkurrenz und Konkurrenzprodukte. Gerade Mitarbeiter in Contact Centern mit längerer Betriebszugehörigkeit wurden oftmals wegen ihrer Eignung für den Kundenservice, nicht aber für den Vertrieb ausgewählt. Der Fokus sollte daher auch auf Schulungen- und Trainingsmaßnahmen in geschäftsabschluss-orientierten Kommunikationsstrategien und -techniken liegen. Weitere Schulungsschwerpunkte sind in aller Regel Kundenklassifizierung, Bedarfsanalyse, Einwandbehandlung und Vertriebsabschlüsse. Müssen Servicemitarbeiter von der Bedeutung vertrieblicher Aufgaben erst noch überzeugt werden, können spaßige Schlagwörter wie z.B. „Kein Zusatzangebot ist unterlassene Hilfeleistung“ umständliche und wortreiche Erklärungen ersetzen. Kundenservicemitarbeiter sollten ausreichend Zeit und Gelegenheit erhalten, ihre frisch erworbenen Kenntnisse im Rollenspiel mit Kollegen auszuprobieren und zu verfestigen.
2) Incentivierung
In der Praxis hat sich bewährt, Mitarbeiter am Vertriebserfolg finanziell zu beteiligen. Dabei ist es nicht ganz einfach, die richtige Balance zwischen Grundgehalt und Provisionsanteil zu finden. Ist das Grundgehalt zu knapp bemessen, könnten sich Mitarbeiter einem zu hohen Vertriebsdruck ausgesetzt sehen. Es besteht das Risiko, dass vom Kunden nicht wirklich gewollte Geschäfte angebahnt und später dann wieder storniert werden. Umgekehrt ist ein zu geringer Provisionsanteil kein wirklicher Vertriebsanreiz.
Stornos verursachen nicht nur überflüssige Kosten für die Rückabwicklung eines ursprünglich zu Stande gekommenen Geschäfts. Sie sind auch deswegen unerwünscht, weil Kunden dazu neigen, ihre Unzufriedenheit dem gesamten Unternehmen anzulasten und ihre Enttäuschung in sozialen Medien zu verbreiten. Bei Kundendienstmitarbeitern sind Stornierungen vor allem dann Anlass für Ärger und Diskussionen, wenn eindeutige und klare Regelungen über die genauen Bedingungen von Incentivierungen fehlen. Viele Unternehmen geben vor, dass Provisionen nur anfallen, wenn ein Geschäftsabschluss nicht innerhalb eines konkreten Zeitraumes wieder storniert wird.
Denkbar wäre auch, Provisionen für „Sales“ nur zu vergeben, wenn bestimmte Vertriebs- und Qualitäts-Mindestzahlen überschritten werden. Durch die Vorgabe korrespondierender Zahlen für „Support“ (z.B. Anrufabwicklung und Weiterempfehlungsquote) lassen sich beide Aufgabenbereiche – „Sales“ und „Support“ – gewichten und es können Steuerungsschwerpunkte gesetzt werden.
3) Change Management
Insbesondere für ältere und altgediente Kundenservicemitarbeiter kann die Einführung von „Sales and Support“ eine große Herausforderung sein. Seitens des Managements gefragt sind dann vor allem Geduld, Nachsicht sowie Erläuterungen zu den Vorteilen der Übernahme von „Sales“-Aufgaben. Um bei Mitarbeitern eventuelle Ängste abzubauen, empfiehlt sich ein behutsamer Umgang. Es sollte die Bereitschaft vorhanden sein, ihnen alle vertretbare Unterstützung anzubieten.
Change Management verfolgt die Absicht, Menschen in einem Veränderungsprozess zur Akzeptanz einer neuen Situation möglichst einfühlsam hinzuführen. Für „Sales and Support“ können hierbei positive Visualisierungen am Arbeitsplatz sowie spielerische Ansätze der Motivation (Gamification) eine nützliche Hilfestellung sein. Durch die Anzeige von Kennzahlen an Computerbildschirmen sowie beispielsweise bunte Pappkarton-Dekorationen an Bürowänden oder im Arbeitszimmer können Vertriebsziele visualisiert und damit fokussiert werden. An einer markanten Stelle könnte man auch ein Plakat zur Erinnerung aufhängen, worauf der Kundendienstmitarbeiter vermerkt, was er mit seinen Vertriebsprovisionen mittelfristig anschaffen möchte.
Im Rahmen von Change Management ist ein wichtiger Aspekt bei Gamification, dass Mitarbeiter bei einem erfolgreichen Vertriebsabschluss einen spielerischen Gewinn erreichen. Dies mag je nach Vertriebsumsatz beispielsweise ein Korb mit Lebensmittelspezialitäten, eine Flasche Champagner, ein T-Shirt, ein Kinogutschein oder ähnliches sein. Um auch Mitarbeiter, die vertrieblich noch nicht so stark sind, zu motivieren, könnte anstatt eines besonderen Preises nach x Vertriebsabschlüssen noch eine weitere Spielschleife etwa in Form einer Tombola eingebaut werden. Arbeiten mehrere Teams zusammen, können sie auch gegeneinander im Vergleich von Vertriebsabschlüssen antreten. Beliebt in Contact Centern ist oft ein virtuelles Fußballspiel, bei dem zum Beispiel konkurrierende Vertriebsstandorte über mehrere Wochen oder Monate mit ihrer Vertriebsleistung um Punkte spielen. Bei Gamification sind der Phantasie hier keine Grenzen gesetzt!
„Sales and Support“, also die Kombination von Vertrieb und klassischem Kundenservice in einer Hand bei Contact Centern, hat viele Vorteile und lässt sich auch bei altgedienten Kundendienstmitarbeitern erfolgreich umsetzen.
Dafür wünsche ich Ihnen viel Erfolg!
Julia Zimpel – Consultant
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