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Tipp KW 22 – 2020

Nearshore – den richtigen Standort finden

Man muss schon etwas Mut mitbringen, die eigenen Kunden im Ausland betreuen zu lassen! Oder ist es doch nichts anderes als ein deutsches Service Center, nur etwas weiter entfernt und unter anderen Rahmenbedingungen. 

Was ist der Antrieb für Nearshore-Aktivitäten? 

Nearshore-Standorte helfen oft dann weiter, wenn der Aufwand und die Kosten im eigenen Land den Nutzen übersteigen. Sei es der Fachkräftemangel, die veränderte Arbeitsmarktlage und der vieles beeinflussende Mindestlohn. Das Zusammenspiel dieser Faktoren führt dazu, dass sich Unternehmen mit hohem Personalbedarf wieder stärker nach Alternativen im Ausland umschauen.

Um den richtigen Standort zu finden, ist eine umfangreiche Recherche notwendig. Die wichtigsten Kriterien sind die vorhandene Infrastruktur, die Sprachaffinität und der Arbeitsmarkt in der jeweiligen Region.

Neben Informationen zu Verkehrsanbindungen und der Immobilienrecherche sind auch Daten zur Bevölkerungsentwicklung und zu Bildungseinrichtungen der Region wichtig. Über allem sollte auch die wirtschaftliche Entwicklung der Region betrachtet werden. Geringe Kosten können in Ländern außerhalb des Euro- Währungsraums schnell durch Wechselkursschwankungen aufgehoben werden. Dem entgegen kann es in einer wirtschaftlich erstarkenden Region auch schnell zum Fachkräftemangel und damit auch wieder zu einem Ringen um Arbeitskräfte kommen.

Der Erfolg im Kundenservice steht und fällt mit den Sprachkenntnissen und den kommunikativen Fähigkeiten der Mitarbeiter. Wer von Nearshore-Standorten aus mit deutschsprachigen Kunden kommunizieren möchte, muss dafür sorgen, dass die Agenten sehr gut deutsch sprechen. Um das Sprachniveau in einer Sprache vergleichbar einzuschätzen, gilt der gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen. Das Sprachniveau gliedert sich in sechs Stufen vom Anfänger (A1) bis zum Experten (C2).  Bei der Auswahl des Standortes muss auf dieser Basis geprüft werden, ob in der Region ausreichend Personal mit den geforderten Sprachkenntnissen verfügbar ist. Teilweise können ortsansässige Universitäten und Sprachinstitute hier mit aussagekräftigen Daten unterstützen. 

Innerhalb der Europäischen Union finden Sie mit etwas Recherche relativ schnell die entsprechenden Arbeitsmarktdaten der einzelnen EU-Länder auf dem aktuellsten Stand. Die gezielte Suche und unter Berücksichtigung bestimmter Städte und Region erfordert schon deutlich mehr Aufwand. Die EU-Förderprogramme haben sich in vielen Regionen als „Schnellzünder“ für den Wirtschaftsmotor gezeigt. In Rumänien haben sich auf Grund der hervorragenden Ausbildungsmöglichkeiten, aber auch sehr hohen Arbeitslosenquoten viele Service Center angesiedelt. Auch andere Industrien haben die Potenziale dieses Landes erkannt. Im Jahr 2019 lag die Arbeitslosenquote bei nur noch 3,9 Prozent. In vielen anderen Ländern kann man eine ähnliche Entwicklung sehen. Die niedrige Arbeitslosigkeit und die damit häufig stark gestiegenen Löhne nehmen diesen Ländern die Attraktivität für ein „einfaches“ Contact Center. Durch die gute Ausbildung an den Universitäten und die Erfahrung mit Serviceprozessen sind sie umso beliebter als Standort für Shared Service Center im Finance und IT Sektor. 

Ein weiterer und sehr wichtiger Punkt, ähnlich dem „Kleingedruckten“ in Verträgen, betrifft das jeweilige Arbeitsrecht. Flexible Arbeitsverträge und nur wenige Urlaubstage für Angestellte locken mit zusätzlichen Kosteneinsparungen im Vergleich mit dem deutschen Markt. Aber auch hier muss man genau hinschauen. In vielen Ländern gibt es alters- und betriebszugehörigkeitsbedingte Urlaubsregelungen die gesetzlich verankert sind. In der Slowakei zum Beispiel erhöht sich der gesetzliche Grundurlaub mit Vollendung des 33. Lebensjahres von vier auf fünf Wochen. Auch gesetzliche Regelungen zu Mehrarbeit und Überstunden sind in vielen Ländern restriktiver und Verstöße werden vom Gesetzgeber hart geahndet.

Nearshore setzt aber auch voraus das Land zu kennen, dem man seine Kunden anvertraut. Die gern genannte interkulturelle Kompetenz muss nicht nur vermittelt, sie muss geteilt werden. Es muss eine Akzeptanz dafür geschaffen werden, dass der neue Standort, wo immer er auch ist, nicht nur eine „verlängerte Werkbank“ ist. Interkulturelle Kompetenz muss auch im Management und bei den Mitarbeitern im eigenen Land vermittelt werden. Das schafft ein Verständnis,  Informationen und Wissen zu teilen und sichert die Qualität der Serviceleistungen. 

Neben Inhouse Center, Onshore, Work@home und Automatisierung bietet Nearshore eine Alternative zum deutschen Arbeitsmarkt. Die Herausforderung ist es, genau den richtigen Mix zu finden. Die Arbeitsmärkte in Europa bieten viele Möglichkeiten, Kosten zu senken, Services zu zentralisieren und entsprechende Arbeitskräfte zu finden. Sie entscheiden über den richtigen Weg für Ihren Kundenservice. 

Andreas Mai –  Berater

 junokai

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