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Tipp KW 22 – 2017

Kürzlich wurde sehr medienwirksam der Fall eines Passagiers thematisiert, der von Sicherheitsbeamten und entgegen seinen Willen brutal aus einem Flugzeug gezerrt wurde. Dieser Vorfall sorgte weltweit insbesondere dadurch für Empörung, weil dieser Fluggast seinen Platz für einen Mitarbeiter der eigenen Airline räumen musste, welcher auch auf anderem Weg sein Ziel rechtzeitig erreicht hätte.

Videoaufnahmen wurden über alle möglichen Social-Media-Kanäle versendet und verbreiteten sich viral. Schlimmer wurde es dadurch, dass die anschließende offizielle Kommunikation der Fluglinie den Vorfall noch verharmloste und versuchte das aus ihrer Sicht notwendige „Umquartieren des Passagiers“ zu rechtfertigen.

Dieses Extrem-Beispiel für einen schlechten Service und der anschließend misslungenen Kommunikation zeigt das Transparenz- und Informationsgeschwindigkeitsrisiko, welches durch neue Kommunikationsmöglichkeiten entsteht, aber auch wie hier im Speziellen starre Policies, daran orientierte Prozesse und Kommunikationsrichtlinien zu hoher Kundenunzufriedenheit bis hin zur nachhaltigen Abwanderung von Kunden führen können.

Leider ist dies kein Einzelfall und starre Kundenservice-Prozesse begegnen uns im Alltag immer wieder. Hier ein paar Beispiele:

Ein großer Software- und Mobilfunkgeräte-Hersteller verweigert schriftliche Bestätigungen zu am Telefon getroffenen Vereinbarungen in Form von Emails oder Briefen zu versenden. Dies ist beispielsweise ein massives Problem für einen Kunden, wenn der eigene Account bei diesem Unternehmen gehackt wurde, ein eigener Zugriff somit nicht mehr möglich ist und unbefugte Dritte sich über diesen Account kostenpflichtige Services und Apps downloaden können. Ohne eine schriftliche Bestätigung muss der Kunde in Unwissenheit verharren, ob sein Anliegen, den Account zu sperren, tatsächlich gelöst wurde.

Ein anderes Unternehmen erlaubt zum Beispiel nur die Verifizierung über ein User-Passwort und einer zusätzlichen Sicherheitsabfrage. Ist beides nicht verfügbar, wird keine andere Art von Verifizierung wie Rücksetzen des Passworts, eine Ausweiskopie, Post-Ident oder ähnliches akzeptiert.

Im Versandhandel werden zum Teil Retouren für einzelne Produkte gefordert, bei denen die Kosten für die Retoure mit Rückversand, Retouren-Vereinnahmung, Bearbeitung der Retoure im Lager die Produktkosten oder den verbleibenden Warenwert bei weitem überschreiten.

In einigen Unternehmen gibt es für potenzielle Kulanzen nur starre Richtlinien unabhängig davon, ob der Kunde ein High-Frequency-Buyer, Hoch- oder Dauer-Retournierer ist, oder zum ersten Mal bestellt und gerade hier ist doch eine nachhaltige positive Customer Experience wichtig.

Doch was bedeuten diese Negativ-Beispiele im Hinblick auf einen guten Kundenservice und welche Dinge gilt es zu beachten?

1. Policies sind eine Richtlinie und kein Dogma
Gestalten Sie die Policies und Prozesse so flexibel, dass diese sich an den Kundenbedürfnissen orientieren, ohne die Unternehmensziele zu gefährden. Hier existiert keine einheitliche Formel die alle Möglichkeiten abdeckt, da diese von Unternehmen zu Unternehmen, von Service zu Service und sogar von Produkt zu Produkt unterschiedlich sein können. Binden Sie die Mitarbeiter und vor allem das Kundenfeedback in den Entscheidungsprozess mit ein und überprüfen Sie die Annahmen im Rahmen von operativen Kennzahlen, Auswertungen und Kundenfeedback.

2. Warum trotzdem starre Prozesse dennoch manchmal sinnvoll sind
Nicht in jedem Prozess macht zusätzliche Flexibilität Sinn oder ist diese gewünscht. Gerade hier liegt auch großes Potenzial für Vereinfachung und Automatisierung. Gerade in einem Fall, in dem standardisierte Prozesse und Bearbeitungsschritte erfolgen, ist der Einsatz von Robotics oder AI (Artificial Intelligence) empfehlenswert. Im konkreten Beispiel von vorhin wäre z.B. im Fall einer angekündigten Retoure mit einem „Warenwert < Retoure-Kosten“ bei einem Kunden mit geringer Retouren-quote eine automatisierte aber vor allem personalisierte Instant-Antwort an den Kunden, dass er die Ware „in diesem Ausnahmefall“ kostenfrei behalten darf, eine extrem positive Customer Experience ohne den benötigten Einsatz eines menschlichen Mitarbeiters.

3. Special Teams für spezielle Aufgaben
Während starre und wiederholende Anfragen sich sehr gut über Automatisierung lösen lassen, gibt es auf der anderen Seite einen Anteil von Kundenanliegen, die sich in keine Policy oder Regel einbinden lassen. Diese sind entweder sehr individuell oder stellen Ausnahmesituationen dar, die nicht vorhersehbar oder beschreibbar sind. Bei entsprechendem Anfragevolumen kann es sich dann lohnen, spezielle Teams auf solche Aufgaben vorzubereiten und diese im Bedarfsfall einzusetzen. Hier gilt es, ein besonderes Augenmerk auf die Typologie der Mitarbeiter bei der Auswahl zu setzen und auch die Kompetenzen und Zielwerte klar und mit Zielwerten vorzudefinieren, damit diese ihre Fähigkeiten sinnvoll und mit größtem Effekt entfalten können. Zugleich gilt es auch, Rahmenbedingungen, wie vorgegebene Bearbeitungszeiten und Kenngrößen, einzuhalten.

4. Liefern sie transparente und nachvollziehbare Policies
Erläutern Sie ihren Kunden etwaige Regeln oder Policies in einer transparenten und nachvollziehbaren Form. Seien Sie hier kundenorientiert aber vor allem auch ehrlich, um die Erwartungshaltung der Kunden zu managen. Vermeiden Sie Risiken und informieren Sie zum Beispiel Ihre Kunden, wenn diese auf Grund ihrer Bonität nur eine bestimmte Zahlart nutzen können oder bieten Sie Alternativen wie Zahlungsmodelle mit höherer Anzahlung an.

Diese Transparenz ist insofern wichtig, da sich Policies losgelöst von jeder Kontrolle wie im Fall der Airline schnell und viral verbreiten können. Wenn sie von vorneherein transparent und nachvollziehbar sind, ist es für einfacher, die Entscheidungen auch an dieser Stelle aufrecht zu erhalten und zu bestätigen.

Ebenso wichtig: Liefern Sie den Mitarbeitern die Logik hinter den Policies und lassen Sie diese auch durch die Mitarbeiter hinterfragen. Ihren Mitarbeitern als Hauptschnittstelle zu den Kunden wird es einfacher fallen, Entscheidungen gegenüber den Kunden zu argumentieren, wenn sie diese selbst mitgestalten konnten.

Wären im Fall der Airline diese Punkte berücksichtigt worden, hätte es wahrscheinlich in dem betreffenden Vorfall eine schnelle Lösung gegeben, die für alle Betroffenen ein positives Erlebnis dargestellt hätte. Die Airline hätte zum Beispiel – falls wirklich die Notwendigkeit der Beförderung der eigenen Mitarbeiter bestand – den Passagieren ihren Sitzplatz bis zu einem Wert X abkaufen können (hier könnte analog zum dem o.a. Special Team ggf. der Purser diese Kompetenz erhalten) und die anschließende Kommunikation wäre im Falle einer Kundenbeschwerde von allen Seiten nachvollziehbar.

Wie sie sehen, kann der zunächst hoch und vielleicht lästig erscheinende Aufwand, bestehende Policies regelmäßig auf ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen und diese Sichtweise im Unternehmen zu fördern, ein enormes Potenzial entfalten. Vor allem wird er aber Ihnen helfen, sowohl Kundenzufriedenheit als auch Mitarbeitermotivation nachhaltig zu fördern.

– Carlos Carvalho (Berater)
junokai

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