Diese Woche beschäftigen wir uns mit Kundenbeschwerden, die uns glücklicherweise noch regelmäßig erreichen. Zu viele Mitarbeiter, Abteilungen und Unternehmen sehen die Beschwerde immer noch als eine Störung und Ärgernis im Tagesgeschäft an. Allerdings ist und wird die Kundenbeschwerde immer ein wertvoller Bestandteil der Kundenbeziehung sein, die uns aufgrund der unterschiedlichen Empfindlichkeiten auch künftig dazu treibt, die Prozesse aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, um Schwachstellen oder Missverständnisse zu identifizieren.
Wann hatten Sie als Führungskraft die letzte Beschwerde auf dem Tisch? Falls Sie jetzt zu lange nachdenken müssen, haben Sie entweder bereits einen guten Prozessablauf mit einem entsprechenden Rahmenplan für den Erstkontakt, der Eskalationen gut vorbeugt, bearbeitet und diese dann zielgerecht in den übergreifenden Fachbereichen streut oder Sie bekommen erst gar keine Beschwerden. Das ist oft ein Zeichen dafür, dass sich Ihre Kunden aus Zeit- und Aufwandsgründen nicht die Mühe machen, sich zu beschweren und lieber abwandern. In diesem Fall sollten Sie prüfen, ob Ihre Beschwerdeannahme leicht zugänglich und stimuliert aufgebaut ist, um vom Kunden überhaupt eine zweite Chance zu bekommen.
Besonders mit dem Einfluss der Digitalisierung und der entsprechenden Schnelllebigkeit wird die Toleranz für Antwortzeiten, Lieferzeiten oder bei gering abweichenden Produkten/Dienstleistungen so stark sinken, dass die kleinste Unstimmigkeit heutzutage dazu führt, dass sich die Kunden auf den Weg zur Konkurrenz machen und wir über die Gründe nichts erfahren. Um so wichtiger ist es, die zweite Chance, die wir von weniger als der Hälfte der Kunden in Form einer Beschwerde bekommen, auch richtig nutzen.
Für diese zweite Chance sollten klare Prozessabläufe geschaffen werden, die abteilungsübergreifend aufgebaut und strukturiert sind. Ein zu empfehlender Ansatz ist das duale Vorgehen in der Annahme und Bearbeitung von Beschwerden zwischen dem Erstkontakt (Kundenservice, Außendienstmitarbeiter oder anderen Bereiche mit direktem Kundenkontakt) und dem Beschwerdemanagementbereich. Kategorisieren Sie zusammen Ihre Beschwerden in Kombination nach Beschwerdebereich im Unternehmen, Beschwerdeobjekt (Produkt/Dienstleitung) und Kundengruppe (Neukunden, Bestandskunden, VIP Kunden etc.) und erstellen Sie auf dieser Basis Vorgehensweisen, Lösungswege und Kulanzmöglichkeiten. Bestimmen Sie, welche Beschwerden der Erstkontakt schnell und unbürokratisch lösen soll. Ihre Kollegen im Kundenservice werden dankbar sein, wenn sie zu unterschiedlichen Kundenbeschwerden schnelle und für den Kunden zufriedenstellende Lösungen anbieten können.
Ein häufiger Beschwerdefall aus dem E-Commerce Bereich – die verspätete und noch nicht zugestellte Lieferung, die zu einer schnellen Verärgerung sorgt. Einem Neukunden können Sie zum Beispiel für die berechtigte Verärgerung die Portogebühren nachträglich gutschreiben, damit die erste Geschäftsbeziehung nicht negativ haften bleibt. Einem guten Bestandskunden schicken Sie die Ware nochmal per Express auf eigene Kosten zu, damit er sich auch in dieser Situation wertgeschätzt fühlt. Und dem “anspruchsvollen“ Kunden (der regelmäßig etwas zu beanstanden hat) teilen Sie wie bei den anderen Fällen natürlich auch mit, dass Sie sich mit dem Paketdienstleister in Verbindung setzen und sich zu einer vereinbarten Zeit wieder melden. Diese möglichen Beispiele sollen aufzeigen, wie man Beschwerden anhand von vordefinierten Vorgehensweisen einfach, schnell und unbürokratisch lösen kann und die Kundenbeziehung je nach Kundengruppe mit unterschiedlichen Lösungen stabilisieren bzw. verbessern kann.
Bestimmen Sie genauso auch, welche Beschwerden nur vom Beschwerdemanagement (der auch im 2nd Level aufgebaut sein kann) zu bearbeiten sind. Zum Beispiel bei unternehmenspolitischen Entscheidungen wie z. B. bei Beschwerden über die neue Preispolitik, warum Retourenlabels nicht mehr mit im Paket beilegt werden oder warum man in Plastiktüten versendet etc. Sprich Beschwerdethemen, auf die man aufgrund der Komplexität detaillierter und individueller eingehen möchte. Oder in Fällen, bei denen eine Rücksprache mit angrenzenden Fachabteilungen notwendig ist.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil sind die unternehmensinternen Folgeaktivitäten. Die bei der Auswertung der Informationen beginnen. Klären Sie zusammen, wer auf die Informationen aktiv Zugriff haben sollte und an welcher Stelle diese im Unternehmen erfasst werden. Definieren Sie die erforderlichen Informationen und wer die Verantwortlichkeit der gesammelten Daten trägt. Eine klare Struktur hilft dabei, Beschwerdebereiche frühzeitig aufgrund der Häufigkeit zu erkennen, zu identifizieren und diese mit den Fachbereichen zu besprechen. Zusätzlich haben Sie so die Möglichkeit, Ihren Kundenservice auf mögliche Beschwerden vorzubereiten. Vereinbaren Sie zum regelmäßigen Austausch Termine mit den Fachbereichen. Sei es z. B. die Logistik, wo es immer wieder zu Zustellungsschwierigkeiten kommt oder dem Einkauf, um die Produktbeschwerden der Kunden auch außerhalb von Zahlen weiterzugeben. So lassen sich frühzeitig Trends erkennen oder anhand der Informationen Maßnahmen ableiten, um die Ursachen für die Beschwerden abzustellen. Ebenso erfahren Sie auch die Hintergründe, warum man bestimmte Beschwerden kurzfristig in Kauf nehmen muss.
Eine gesunde abteilungsübergreifende Interaktion ist wichtig, nicht nur um Prozesse zu optimieren und Mehrfachbeschwerden zu verringern, sondern besonders auch auf Beschwerden vorbereitet zu sein und in Beschwerdesituationen die zweite Chance vom Kunden richtig zu nutzen.
– Omied Sadegie (Berater)
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