Wie gut kennen Sie Ihre betrieblichen Prozesse? Wieviel Geschäftsvorgänge in Ihrem Unternehmen sind von (regelmäßigen) wichtigen Veränderungen betroffen? Mit welcher Anpassung der Abläufe erzielen Sie den größten Effekt bei geringstem Aufwand?
Diese Fragen bewegen Unternehmen besonders in den Zeiten, in denen die Notwendigkeit zur Veränderung besonders groß ist. Oft wirken die Impulse zur Veränderung von außen ein und die Organisation muss sich kurzfristig und möglichst effizient anpassen. Ein Beispiel dafür durchleben wir derzeit mit der wirtschaftlichen Ausnahmesituation, ausgelöst durch den COVID19 Erreger. Viele Unternehmen mussten kurzfristig den betrieblichen Alltag in den Büros zur Sicherheit einstellen und für große Anzahlen von Mitarbeitern z.B. eine Arbeitsmöglichkeit im Homeoffice schaffen.
Wenn dann noch erfahrene Mitarbeiter als Wissensträger das Unternehmen verlassen (müssen), bricht Hektik aus. Wer kennt nun die Abläufe nun gut genug? Wer schafft die Grundlagen für die fachliche Schulung neuer Mitarbeiter? Wo kann man ansetzten, um wichtige Einsparungen zu generieren? Wo sind Engpässe in den Abläufen, wo die Zeitfresser?
Organisatorische Anpassungen mit umfassenden Veränderungen in den betrieblichen Abläufen stellen die Unternehmen also oft vor große Herausforderungen, auch weil wichtige Grundlagen im prozessualen Bereich nicht rechtzeitig geschaffen wurden.
Prozessmanagement ist kein einfach besetzter Begriff. Die Definitionen und die damit verbundenen Ausprägungen sind unterschiedlich und vielfältig. Ein Geschäftsprozess ist laut Definition eine Anzahl von manuellen oder automatisierten Aktivitäten, die in einem Unternehmen – nach bestimmten Regeln – auf ein definiertes Ziel hin immer wieder ausgeführt werden. Die Aktivitäten hängen über betroffene Personen, IT-Systeme, Dokumente usw. miteinander zusammen.
Keine Frage – das nachhaltige Managen von Prozessen in Unternehmen ist ggf. aufwendig. Es erfordert sowohl personelle Ressourcen als ggf. auch Investitionen in unterstützende Softwaresysteme. Manchmal findet sie darüber hinaus in spezialisierten Mitarbeitern oder gar Abteilungen eine feste Verankerung im Unternehmen.
Und der Aufwand lohnt sich. Allein wer in stabilen Zeiten die betrieblichen Prozesse zunächst einmal sauber definiert, dokumentiert und laufend pflegt, kann bei notwendigen radikalen betrieblichen Veränderungen auf einer guten Basis wirksame und erfolgreiche Maßnahmen etablieren.
In der ersten Stufe reden wir von Prozessmodulation und einer ersten (einfachen) Prozessoptimierung in einer zugegeben recht statischen Ausprägung. Das bedeutet, dass die Prozesse meist als Dokumente in einer Datenbasis vorliegen und bei Bedarf für Recherche oder für Schulungen verwendet werden. Eine laufende Prozessüberwachung oder gar Optimierung ist noch nicht möglich. Die erhobenen Kennzahlen der betrieblichen Abläufe bleiben abgekoppelt vom modellierten, dokumentierten Prozess.
So werden z.B. in einem Servicecenter die Durchlaufzeit von Anträgen auf Basis der gesamten Dauer bis zur Erledigung in EINER Kennzahl gemessen. Oder im Rahmen eines Kündigungsprozesses wird lediglich gemessen, wie viele Tickets pro Zeiteinheit erledigt wurden ungeachtet der Tatsache, dass die Kündigungsvorgänge aufgrund verschiedener Produkte oder stark heterogener Kundenklassifizierungen unterschiedlich lange dauern (müssen).
Der Zusammenhang mit dem eigentlichen Ablauf der Antragsbearbeitung, welcher verschiedene Teams und Abteilungen durchläuft und von definierten Handlungsalternativen der beteiligten Mitarbeiter geprägt ist, ist noch nicht hergestellt. Ob der Verlauf z.B. aufeinanderfolgend, parallel, alternativ oder iterativ war, bleibt in der Bewertung des Prozesserfolges unberücksichtigt.
Selbst bei Feststellung von augenscheinlichem Optimierungspotential (z.B. aufgrund von Benchmarks der Branche) bleibt es zunächst objektiv betrachtet völlig im Dunkeln, wo dieses Potential liegt. Jegliche Maßnahmen beruhen nun auf den Erfahrungen der Mitarbeiter, neutrale Daten für diese Entscheidungen stehen nicht zur Verfügung.
Sofern also die operativen Prozesse in oben beschriebener Weise bereits definiert und dokumentiert sind, ist die Realisierung der nächsten Stufe im Prozessmanagement sehr sinnvoll, nämlich die Verknüpfung der Prozesse mit neutralen gemessenen Daten, implementiert in einem Process-Mining-Tool.
Dazu müssen alle Aufgaben, die auszuführen sind, erkannt werden. Außerdem müssen alle Ausführungspfade und alle Regeln, die für die Wahl der Pfade entscheidend sind, erfasst werden.
Process-Mining ist also eine Möglichkeit der Optimierung von Geschäftsprozessen mithilfe eines IT-Systems. Voraussetzung ist, dass die Prozessschritte mithilfe von IT-Systemen „erstellt“ werden und damit verwertbare Ereignislogs, also digitale Spuren oder Zeitstempel entstehen.
Ziel des Process-Mining ist zum einen die Analyse und Abbildung von Prozessmodellen auf Basis von Ereignislogs aus anderen IT-Systemen. Zum anderen kann man im „laufenden Betrieb“ die Durchlaufzeiten detailliert tracken und in der Folge analysieren. Damit ein Prozessmodell aus solchen „digitalen Spuren“ erstellt werden kann, muss in dem Ereignislog mindestens die Reihenfolge der Ereignisse gespeichert sein. Dabei muss jedes Ereignis auf eine Aktivität verweisen und einer Prozessinstanz zugeordnet werden können.
So wird z.B. in dem oben genannten Kündigungsprozess jeder einzelne Prozessschritt nach Abschluss durch einen Zeitstempel dokumentiert.
So wird genau auswertbar, in welchem Abschnitt des Kündigungsprozesses (vom Eingang der Kundennachricht bis zur Deaktivierung des Kunden) die meisten Zeit „verbraucht“ wurde und bei wie vielen dieser Prozessart das an dieser Stelle der Fall war. Das wird bei der Erkenntnis helfen, wie und an welcher Stelle konkreter Optimierungsbedarf im Prozessablauf vorhanden wäre.
Der Sinn des Process-Mining ist also ein Soll/Ist Modell-Vergleich anhand von konkreten Messdaten mit dem Ziel, Engpässe oder Fehlfunktionen zu identifizieren.
Der Mehrwert des Process-Mining gegenüber der traditionellen Vorgehensweise ist also implizites, sonst verborgenes Prozesswissen zu erkennen und zu nutzen. Zusätzliche Erkenntnisse zu quantitativen Eigenschaften von Geschäftsvorgängen werden gewonnen und so können unerwartete bzw. ungewollte Abhängigkeiten zwischen Aktivitäten aufgedeckt und optimiert werden.
In der Einführung des Process-Mining kann es natürlich auch zu Hindernissen und auch „Show-Stoppern“ kommen. Zwei wichtige Beispiele, die in unserer Beratungspraxis häufig auftreten sind:
Die einigermaßen lückenlose zeitliche Abbildung von Prozessdurchlaufzeiten kann in der Praxis zu praktischen Problemen mit dem Datenschutz führen. Da ein Ereignislog für einen konkreten Prozessschritt bereitgestellt werden muss, könnte die mitbestimmungsrechtlich vereinbarte Anonymität von Mitarbeitern verletzt werden.
Weiterhin könnte es bei der Rekonstruktion der Prozesse aus dem Ereignislog zu Schwierigkeiten kommen, weil Daten fehlen (z. B. aufgrund von manuellen Tätigkeiten) oder weil die Daten unvollständig sind.
Eine alternative Herangehensweise zur Aufnahme der Geschäftsprozesse ist dann beispielsweise die Veranstaltung eines Workshops, welcher erfahrungsgemäß folgendermaßen ablaufen könnte:
Es werden die Stakeholder zu einem Workshop versammelt, typischerweise ein Prozessanalyst und mehrere Experten, welche den Prozess gut kennen. Die Teilnehmer interagieren miteinander, um ein gemeinsames Verständnis von den Abläufen zu entwickeln. Häufig findet solch ein Workshop softwaregestützt statt. Ziel ist es, ein Modell mit unterschiedlichen Rollen direkt im Workshop zu erstellen. Das resultierende Modell ist der Referenzpunkt für Diskussionen und die Basis für die (anonymisierte) Prozessüberwachung.
Das Geschäftsprozessmanagement umfasst Methoden und Werkzeuge zur Durchführung und Analyse von Geschäftsprozessen und zielt auf die Identifikation von Fehlerquellen und Verbesserungsmöglichkeiten.
Betriebliches Prozessmanagement ist einer der Schlüsselfaktoren in der Umsetzung der laufenden iterativen Anpassung oder der disruptiven Veränderung des Unternehmens.
Nur wenn das Unternehmen sich seiner Prozesse und Abläufe bewusst ist, können schnelle Erfolge im gesamten Spektrum zwischen der laufenden Prozessoptimierung bis hin zur Anpassung der Organisation aufgrund externer Treiber erzielt werden.
Geschäftsprozessmanagement ist die Voraussetzung für Process-Mining, also der systematischen Messung von Prozessgeschwindigkeiten mit dem Ziel, Schwachstellen, Engpässe und prozessuale Umwege zu erkennen und zu optimieren.
Process-Mining verbindet Geschäftsprozessmodellierung und Geschäftsprozessmanagement mit nicht-prozessorientiertem Data-Mining.
Und zu guter Letzt: Nicht alles kann sinnvoll in Prozessmodelle gefasst werden. Geschäftsprozesse können auch teilstrukturiert oder unstrukturiert sein und eigenen sich aufgrund der Unterschiedlichkeit im Ergebnis nicht für die o.g. Vorgehensweisen.
Aber: In Dienstleistungsorganisationen sind schätzungsweise mindestens 85% aller Prozesse in der Regel strukturiert und insofern geeignet für ein strukturiertes Geschäftsprozessmanagement.
Sofern also bei ehrlicher Betrachtung noch kein zielgerichtetes Managen der Prozesse und Abläufe in Ihrem Unternehmen stattfindet und Ihre Organisation diesbezüglich essenziell abhängig von dem Wissen erfahrener Mitarbeiter ist, dann schaffen Sie ab morgen Abhilfe und bereiten sich auf die nächste große Veränderung vor. Der Aufwand lohnt sich!
Michael Fürst – Berater
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