DE | EN

Tipp KW 15 – 2018

Wie Sie mit einfachen Kniffen aus Ihren Reports wertvolle Extra-Informationen erhalten.
Heute: Zielkorridore

In der Welt des Kundenservice kennen wir das (hoffentlich) alle: Wöchentliche, tägliche oder gar intervallbasierte Reports, die uns alle wichtigen Kennzahlen zeigen. Das sind meist aktuelle, kurzfristige Werte wie z. B. Erreichbarkeit, Service Level oder Bearbeitungszeit. Aber auch solche mit mittel- und langfristigem Charakter wie z. B. Kunden- oder Mitarbeiterzufriedenheitswerte, Kontaktquoten, Umsätze oder Kosten pro Stunde und dergleichen mehr.

Und leider kennen wir auch was dann oft passiert: So lange die Kennzahlen den Zielwert (der hoffentlich für jede Kennzahl definiert ist) erreichen bzw. übertreffen ist alles in Ordnung und niemand interessiert sich so recht für die Reports. Aber wenn ein als wichtig erachteter KPI einmal das Ziel verfehlt, und das vielleicht sogar direkt vom Senior Management bemerkt und selbstverständlich sofort eskaliert wird, geraten alle in Aufruhr.

Hätte man da nicht vorher schon etwas bemerken und Gegenmaßnahmen einleiten können? Und ist ein KPI immer gut, nur weil der den Zielwert übertrifft?

Zielkorridore statt Zielwerte

Rufen wir uns immer wieder ins Bewusstsein: Sinnsprüche wie „Qualität kostet Geld“ haben einen wahren Kern. Wenn das Unterschreiten von Erreichbarkeitszielen über einen längeren Zeitraum hinweg ein Indiz für Unterbesetzung im Kundenservice ist (oder dafür, dass die Prozesse nicht sehr kundenfreundlich gestaltet sind, aber darüber sprechen wir ein andermal), so deutet eine Übererfüllung klar auf eine Überbesetzung hin und damit auf unnötig hohe Kosten. Und weil Service-Einheiten meist sehr kostengetrieben sind, haben viele Unternehmen speziell in schwierigen Wettbewerbsumgebungen – nicht zu Unrecht – das Ziel: „Sinnvolle und ausreichende Servicequalität zu einem möglichst günstigen Preis“ (statt „Höchstmögliche Qualität, koste es was es wolle“, was sich ehrlicherweise nahezu kein Unternehmen leisten kann).

Dies alles bedenkend ist es mehr als naheliegend, für alle wichtigen KPI nicht nur Mindest- sondern auch Maximalwerte zu definieren – also einen Zielkorridor. Reagiert werden muss bei Abweichungen in beide Richtungen, sei es bei Untererfüllung oder bei Übererfüllung. Die Gründe für die Abweichungen und die abgeleiteten Maßnahmen mögen unterschiedlich sein – aber der Umstand, dass in beiden Fällen Maßnahmen erfolgen müssen, ist unumstritten.

Ein Praxisbeispiel

Ein klassisches Service Level Ziel ist 80/20, es sollen also 80% aller Anrufe in 20 Sekunden oder weniger angenommen werden. Die Zahlen sind nicht aus Zufall dieselben wie die des Pareto-Prinzips – das sinngemäß sagt, dass 80% des Ziels mit nur 20% des Gesamtaufwands erreicht werden können, aber die restlichen 20% dann sehr aufwändig werden und noch einmal 80% des Gesamtaufwands (oder viermal so viel wie die ersten 80%) erzeugen. Schon daraus lässt sich folgern, dass es nicht zielführend scheint, einen Service Level von 100% anzustreben – denn dieser bedeutet einen stark erhöhten Aufwand.

Sie glauben nicht an Pareto? Dieselbe Schlussfolgerung finden Sie auch mit Erlang C, der anerkanntesten Herleitung von Ressourcenbedarfen in Telefon-Services. Verwenden wir Erlang C und setzen die Parameter 100 Calls/Stunde und 300 Sekunden Bearbeitungszeit. Bei einem Ziel von 80/20 benötigen wir 11-12 Mitarbeiter die zugleich in der Schicht eingeteilt sind (und diese sind zu 70% ausgelastet). Die ASA, also die durchschnittliche Zeit bis ein Anruf angenommen wird (Average Speed of Answer), wird sich bei knapp unter 20 Sekunden einpendeln. Bei 65/20 (was aus der Sicht eines kundenorientierten Service meist zu wenig ist) wären es kaum weniger, nämlich 10-11 Mitarbeiter, diese sind aber schon zu 80 % ausgelastet, die ASA sinkt aber auf erschreckende 50 Sekunden. Bei 95/20 hingegen benötigen Sie nicht nur bereits mindestens 14 Mitarbeiter, diese sind dann auch nur noch zu 60 % ausgelastet. Und die ASA verbessert sich trotzdem kaum, sie wird bei 10-15 Sekunden liegen.

Für den Service Level einer Hotline ergibt sich also sinnvollerweise, dass nicht nur das Ziel von 80/20 erreicht werden muss (und bei Unterschreitung Analysen durchgeführt und Maßnahmen eingeleitet werden müssen), sondern ebenfalls dass ein Maximalwert (von z. B. 90/20) definiert werden sollte. Und auch für diesen gilt: Wird er dauerhaft überschritten, sollten Sie die Gründe analysieren und Maßnahmen einleiten. Denn die Übererfüllung kostet bares Geld, ohne aber das Kundenerlebnis und damit die Kundenzufriedenheit noch signifikant weiter zu steigern.

Zielkorridore für alle Kennzahlen

Diese Betrachtung können Sie auf nahezu alle Kennzahlen anwenden, die Sie im Kundenservice erheben. Manchmal mag das Finden des oberen Grenzwertes etwas aufwändiger sein und ein wenig mehr Analysen erfordern – aber es lohnt sich, diese Zeit zu investieren. Fragen Sie sich bei jeder Kennzahl dieselben Fragen:

1) „Was will ich mit dieser Kennzahl WIRKLICH herausfinden?“

Bleiben wir beim Service Level. Sie messen ihn ja nicht, weil Sie das spannend finden. Sondern weil Sie wissen (und an sich selbst bei jedem Anruf an einer Hotline beobachten), dass Kunden in Warteschleifen meist bereit sind, bis zu ungefähr 20 Sekunden zu warten, bevor die Unzufriedenheit rapide und massiv ansteigt. Sie messen den Service Level also letztlich deshalb, weil Sie einen potenziellen Treiber für Unzufriedenheit vermeiden wollen.

2) „Kann ich etwas gewinnen, wenn ich den Zielwert deutlich überschreite?“

Auch das beobachten Sie an sich selbst, und es trifft auf die meisten Kunden zu: Ob Ihr Gesprächspartner schon nach 10 Sekunden Klingeln / Warteschleife abhebt, oder erst nach 20 Sekunden, macht Ihnen nichts aus. Auf eine kurze (oder vielleicht auch längere) Wartezeit hatten Sie sich ohnehin eingestellt. Sie sind dadurch nicht zufriedener. Ihr Kundenservice gewinnt also keine Kundenzufriedenheit, wenn Sie 95/20 statt 80/20 erreichen. Aber Sie steigern Ihre Kosten signifikant.

Und nicht zuletzt: Eine solche Betrachtung Ihrer KPI ist oft eine wertvolle Gelegenheit, den über die Jahre oft entstandenen Wildwuchs der Reports und Kennzahlen einmal kritisch zu analysieren und ggf. auszumisten. Und eine ebenso gute Gelegenheit, sich über die Abläufe und Prozesse Gedanken zu machen, die letztlich in guten oder weniger guten Kennzahlen münden.

Wie Sie mit einfachen Mitteln Ihre bestehenden Reports dann noch in strategische Indikatoren verwandeln, darüber lesen Sie in einem der nächsten Tipps.

– Gerhard Klose (Seniorberater)
junokai

Um den Tipp der Woche zu abonnieren, klicken Sie hier.