DE | EN

Tipp KW 07 – 2018

Multi-, Omni-, Cross-Channel: Begrifflichkeiten, die in den letzten Jahren nicht mehr nur in der Handelswelt ihre Daseinsberechtigung gefunden haben. Die Entwicklung der geeigneten Kanalstrategie aus Sicht der Kundenbedürfnisse wird zunehmend auch für Serviceabteilungen von Unternehmen aller Branchen wichtig. Es gilt zu klären, welche Kontaktkanäle für welche Kundengruppe angeboten werden sollen, wie Prozesse angepasst werden müssen, damit der Kundenkontakt in einer heterogenen Kanalwelt ohne Unterbrechung gehandhabt werden kann und wie die IT-Landschaft gegebenenfalls auf die sich wechselnden Herausforderungen hin angepasst werden muss. Dabei ist es notwendig, dass Fachseite und IT die Anforderungen an die Systemlandschaft gleichermaßen definieren und verstehen. Eine geeignete Methode zur abteilungsübergreifenden und visuell einprägsamen Anforderungsdefinition ist das Customer Journey Mapping. Diese Herangehensweise hilft Unternehmen mittels Kombination von Storytelling und Visualisierung dabei, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu verstehen und zu adressieren.

Eine Customer Journey Map ist eine Visualisierung der Kundenreise. Sie verbildlicht den Prozess, den ein Kunde unternimmt, um zu seinem individuellen Ziel zu gelangen. Dabei werden alle Schritte, die ein Kunde auf seiner Reise unternimmt, inklusive seiner Gedanken, Gefühle und Erwartungen dargestellt. Ziel ist es, genau die neuralgischen Punkte zu identifizieren, die ihn an der Zielerreichung hindern. Übertragen auf die zu definierende Kanalstrategie bedeutet dies aufzuzeigen, an welchen Kontaktpunkten der Kunde heute – also in der Ist-Customer Journey – behindert wird, um aus diesen Lücken in der Kundenreise Anforderungen an das Ideal zu definieren. Dabei kann eine Soll-Customer Journey nicht alle Bedürfnisse aller Kunden eines Unternehmens abbilden. Ein Hilfsmittel ist die Definition von Personas. Eine Persona ist ein Musterbild einer Kundengruppe mit konkret ausgeprägten Eigenschaften und einem konkreten Verhalten. Anhand von Kenntnissen und Beobachtungen an den realen Kunden werden fiktive Personen geschaffen, die stellvertretend für den größten Teil der tatsächlichen Kunden stehen sollen. Je Persona wird dann die Soll-Customer Journey gestaltet, die alle Erwartungen und Bedürfnisse dieser Kundengruppe hinsichtlich der Kanalwahl und letztendlich den idealen Umgang des Unternehmens mit dem Kunden abbildet.

Folgendes Beispiel soll den Weg vom Ist zum Soll verdeutlichen:

Emma sucht im Onlineshop „shopjetzt“ nach einer neuen Übergangsjacke. Sie findet geeignete Produkte, hat aber eine Rückfrage an den Kundenservice bezüglich der Größenauswahl. Sie sucht nach Kontaktmöglichkeiten und schreibt eine E-Mail an „shopjetzt“. Eine Antwort erhält Emma per E-Mail nach 3 Tagen, da hatte sie die Jacke schon wieder fast vergessen. Wirklich zufrieden ist sie mit der Antwort nicht, also ruft Emma im Kundenservice von „shopjetzt“ an. Nach 10-minütiger Wartezeit wird sie verbunden und muss trotz Angabe ihrer Vorgangsnummer alle Einzelheiten zu ihrer Frage und des Produktes erneut schildern. Zufrieden mit der Antwort des Mitarbeiters möchte sie direkt die Jacke an der Hotline bestellen. Der Mitarbeiter verweist sie an die Bestellhotline, aus technischen Gründen kann er Emma aber aktuell nicht direkt durchstellen. Emma geht erneut online und bestellt die Jacke dort. Leider kann sie nicht aus dem Shop heraus mit PayPal zahlen, stattdessen erhält sie den Überweisungsbeleg gemeinsam mit der Bestellbestätigung an ihre E-Mail-Adresse.

Betrachtet man die bestehende Kundenreise von Emma wird deutlich, welche ihrer spezifischen Bedürfnisse als Kundin unerfüllt bleiben: Sie kann nicht direkt aus der App heraus mit einem „shopjetzt“-Mitarbeiter kommunizieren, sondern muss erst nach Kontaktmöglichkeiten suchen, um dann mittels – in ihren Augen – umständlichen Kontaktmöglichkeiten wie E-Mail und Telefon mit „shopjetzt“ zu kommunizieren. Alle ihre bisherigen Informationen wie Produktauswahl, präferierter Zahlungsmethode oder Kontaktdaten muss sie erneut mitteilen. Ihre Kundenreise ist alles andere als nahtlos.

Emmas ideale Customer Journey beginnt bei der Ausarbeitung ihrer Persona und der Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse: Emma als Digital Native nutzt zur Kommunikation fast ausschließlich Instant-Messaging-Kanäle. Zudem ist die 22-Jährige aktiv auf Social-Media-Kanälen unterwegs und teilt ihre Erlebnisse mit ihrer Community. Der Großteil der „shopjetzt“-Kunden lässt sich zur Persona-Gruppe Emma hinzuzählen. Als gain – also positives Erlebnis in ihrer Customer Journey – sehen diese Kunden eine nahtlose, einfache Kommunikation zum Unternehmen. Kanalwechsel in digitalen Kanälen sind für solche Kunden kein Problem, solange die Informationen nicht verloren gehen. Die Persona Emma möchte genau dort vom Unternehmen abgeholt werden, wo sie sich aufhält: in der digitalen Social-Media-Welt und das idealerweise mobil. Als Schmerz – also pain – empfindet die Kundengruppe das langwierige Suchen nach Kontaktmöglichkeiten, das Unterbrechen ihrer Kundenreise in unterschiedlichen Kanälen oder der gezwungene Wechsel auf in ihrer Sicht veraltete Kanäle wie Telefon oder gar Brief. Der Steckbrief der Persona Emma, mit all ihren demografischen und persönlichen Merkmalen sowie ihren Wünschen und Schmerzpunkten, sollte von „shopjetzt“ mit einem beispielhaften Foto versehen auf Papier gebracht werden, damit alle an der Gestaltung der idealen Customer Journeys beteiligten Mitarbeiter die Grundlage stets vor Augen haben.

Basierend auf Emmas Steckbrief wird sozusagen „auf der grünen Wiese“ ihre ideale Kundenreise gestaltet. Im Ergebnis erhält „shopjetzt“ einen Soll-Ist-Vergleich ihrer Kontaktkanallandschaft und somit die Anforderungen an eine zukünftige Soll-Kanalstrategie. In ihrer Soll Kundenreise sieht Emma die Jacke auf Instagram und kann über den Link direkt in die App von „shopjetzt“ gelangen. Per Chat wird Emma proaktiv gefragt, ob man ihr helfen könne, selbstverständlich wird sie geduzt. Sie stellt ihre Frage nach den Größen und wird per Co-browse zur Größentabelle geleitet. Parallel chattet sie weiter mit „ihrem“ „shopjetzt“-Berater. Sie legt die gewünschte Jacke in der richtigen Größe in den Warenkorb. Da sie bereits zuvor bei „shopjetzt“ bestellt hatte, genügt die Anmeldung mit Fingerabdruck über ihr Smartphone (Touch-ID) und „shopjetzt“ kennt Emmas bevorzugte Lieferadresse an die Packstation genauso gut, wie ihre präferierte Zahlmethode über PayPal. Emma schließt Kauf und Zahlung ab und erhält zum Dank von „shopjetzt“ einen 5% Gutschein für ihre Instagram-Follower plus eine Umsatzbeteiligung, sollte ihre Community den Gutschein einlösen. Prompt postet sie direkt die gekaufte Jacke, den Shop und ihren Gutschein-Code.

Was lernt „shopjetzt“ von Emmas idealer Kundenreise für seine Kanalstrategie? Das Unternehmen benötigt eine Plattform mit offenen Schnittstellen, in die sich verschiedene Kontaktkanäle relativ einfach integrieren lassen. „shopjetzt“ bedient hauptsächlich eine junge und digital affine Kundengruppe. Das Unternehmen sollte also genau dort unterwegs sein, wo es seine Kunden sind und dort mit ihnen in Kontakt treten können.

Die junokai-Berater haben in ihren Projekten zum Customer-Journey Design die Erfahrung gemacht, dass ideale Kundenreisen tatsächlich wie die oben dargestellte ohne Einschränkungen, sei es von IT, Datenschutz oder „das haben wir schon immer so gemacht“-Einwürfen, gestaltet werden sollten. In den weiteren Iterationen hin zum Prozessdesign werden natürlich die notwendigen Einschränkungen berücksichtigt, nicht aber im ersten Design-Workshop. Hier entsteht für alle sichtbar „auf der grünen Wiese“ das Idealbild einer Kundenerfahrung, welches sich das Unternehmen immer wieder ins Auge rufen sollte. Für ein Unternehmen wie „shopjetzt“ bietet sich die Ausarbeitung von 3-5 Personas an, um alle Kundengruppen und deren individuelle Bedürfnisse abzudecken. Die entstehenden Soll-Kundenreisen – eine je Persona – verbildlichen alle vom Unternehmen zur Verfügung zu stellenden Kontaktkanäle und deren Einsatz. Eine optimale und für alle Abteilungen sichtbare Grundlage für die Kanalstrategie und damit den richtigen Einsatz des für jeden Touchpoint und für jeden Kunden passenden Kontaktkanals.

– Sofie Schneider (Beraterin)
junokai

Um den Tipp der Woche zu abonnieren, klicken Sie hier.