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Tipp KW 8 – 2019

Die vermutlich am meisten beachteten KPIs im Workforce Management (WFM) sind Servicelevel und Krankenquote. Aber sind das wirklich die wichtigsten KPI um einen guten bis sehr guten Kundenservice zu leisten?

Seit Ewigkeiten wird ein Servicelevel 80/20 im Kundenservice als erstrebenswert angesehen. Schaffe ich es 80 % meiner Anrufe in 20 Sekunden anzunehmen? Leider sagt es absolut nichts darüber aus, wann und/oder ob die restlichen Kunden bedient werden. Häufig werden Erreichbarkeit und maximale Wartezeit nicht berücksichtigt. Tatsächlich sogar wird die Erreichbarkeit zu Gunsten des Servicelevels geopfert. Routings entsprechend angepasst.

Dazu kommt, dass ein Intervall mit deutlich erhöhtem Callaufkommen eine Warteschleife aufbaut, die für Stunden den Servicelevel ruinieren kann. Trotz z.B. 95 % Erreichbarkeit und 45 Sekunden durchschnittlicher Wartezeit erreicht man über Stunden nur 40 % oder 50 % Servicelevel.

Aber ist es wirklich das, was die Kunden erwarten, 80 % in 20 Sekunden? Ist das Kundenerlebnis hiervon abhängig? Sind Kunden zufriedener, wenn dieser KPI erfüllt wird? Ich sage Nein, das Konzept des Servicelevels hat sich überholt. In den letzten 30 Jahren haben sich die Umstände geändert, wir aber nicht unsere Ziele.

Zum einen sind die Voraussetzungen des Kunden komplett andere als in den 1990ern. In aller Regel haben die Kunden Flatrates oder es wird ein Call pauschal abgerechnet. Es gibt Freisprecheinrichtungen und die wenigsten Telefone sind noch schnurgebunden. Der Kunde kann immer und von überall aus telefonieren.

Zum Zweiten hat sich der Kundenservice verändert. Gab es früher reine Callcenter, so hat sich der Wandel zu Kundenkontaktcentern durchgesetzt. Es werden Anrufe, Briefe, E-Mails, Chats und zum Teil auch Multimedia Anfragen bearbeitet. All diese Kanäle werden zum Teil durch die gleichen Mitarbeiter abgearbeitet. Die reinen „Call-Maschinen“ gibt es kaum noch. 

Als Drittes hat sich auch die Callcenter Technik verändert. Multikanalsteuerung und Blending sind heute eher die Regel als die Ausnahme. Immer mehr Anfragen werden automatisch bearbeitet. Dadurch werden die Bearbeitungszeiten für die restlichen Calls länger, dadurch das Erreichen des Servicelevels weiter erschwert.

Zuletzt haben sich auch die Callcenter Mitarbeiter verändert. Die Anforderungen sind deutlich größer geworden, im Inbound sind es häufig Sachbearbeitungsaufgaben, die erfüllt werden müssen. Auf der anderen Seite wird der Markt an verfügbaren Mitarbeitern deutlich kleiner. Mitarbeiterbindung wird immer wichtiger. Es gilt, die Mitarbeiter als interne Kunden zu sehen. Nur wenn die Erwartungshaltung der Kunden und der Servicegedanke der Mitarbeiter zusammenpassen, kann man ein Serviceerlebnis schaffen.

Außerdem gibt es viele Dinge, die massiven Einfluss auf den Servicelevel haben. Genannt seien hier stellvertretend Forecastgüte, Handling Time und Abwesenheitsquoten. All diese Themen werden allerdings viel zu häufig sehr stiefmütterlich behandelt. Krankenquoten, Urlaubsquoten oder Handling Times gleich verteilt über Woche oder Jahr geplant. Hier sollten Sie deutlich genauer hinschauen und kleinteiliger planen. Denn nur wenn diese KPI im Zielkorridor sind, können Serviceerlebnis des Kunden und Mitarbeiterzufriedenheit Hand in Hand gehen.

Auf das Thema Krankenquoten Forecast und AHT Forecast werden wir sicherlich in einem späteren Tipp der Woche noch einmal zurückkommen.

Aber zurück zum Servicelevel: Um einen Servicelevel von 80/20 erreichen zu können, benötigt man mindestens 20 % Bereitzeiten, häufig in den Randzeiten noch mehr. Berechnen Sie für Ihren Kundenservice die Auslastung der Mitarbeiter bei Zielerreichung des Servicelevels. Dafür finden Sie im Internet verschiedene Erlang C Rechner, die Ihnen das ermöglichen.

Hinterfragen Sie, wenn Ihnen der Wert zu niedrig erscheint, Ihr Servicelevel. Fragen Sie Ihre Kunden, wie lange sie warten würden und den Kundenservice immer noch als exzellent bezeichnen. Fragen Sie Ihre Kunden, was Ihnen wichtig ist. Werten Sie aus, wann Ihre Kunden auflegen, ob es einen erkennbaren Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Wartezeit sehen.

Fragen Sie Ihre Kunden auch, warum sie persönlich mit einem Mitarbeiter sprechen wollen. Ob nicht viele Dinge auch als guter Kundenservice wahrgenommen werden, wenn die Lösung im Selfservice bereitgestellt wird. Sind Ihre Kunden viel bei Facebook unterwegs? Wenn ja, können allgemeine Themen nicht auch hier kommuniziert werden? Nutzen Sie neue Medien und stellen Sie Ihren Kunden Erklärvideos statt langer komplizierter Briefe zur Verfügung. Je nachdem, was sich Ihr Kundenklientel wünscht.

Richten Sie Ihren Kundenservice daran aus, was die Kunden wirklich wollen und nicht was Erlang vorsieht. 

Rücken Sie die Kundenzufriedenheit in den Mittelpunkt. Erreichbarkeit, durchschnittliche und maximale Wartezeit haben meines Erachtens nach viel mehr Einfluss auf das Kundenerlebnis, als nur ein Servicelevel. Sie werden feststellen, dass die Erwartungen der Kunden meistens gar nicht 20 Sekunden Wartezeit sind. 

Stellen Sie folgende Punkte in einen Zusammenhang. Forecastgüte, Planungsgenauigkeit und Erreichbarkeit sowie durchschnittliche und längste Wartezeit. Nutzen Sie den Servicelevel als Hilfsgröße, nicht als Zielwert. Ich bin sicher, die Kunden und auch Sie sehen Ihren Kundenservice mit anderen Augen.

-Mirko Hüsken (Berater)
junokai

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