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Tipp KW 40 – 2020

Laterale Führung in Projekten und Veränderungsprozessen

Ausgeprägte hierarchische Strukturen haben in Unternehmen eine lange Tradition. Solange es Organisationen gibt, existieren auch Hierarchien, also die Festlegung von festen Rollen und Befugnissen der Menschen in Unternehmen. 

Doch was tun, wenn diese formale hierarchische Steuerung in Zeiten von umfassendem und schnellem Wandel nur noch begrenzt funktioniert und andere wirksame Mittel gefunden werden müssen? 

Seien wir ehrlich – in komplexeren Projekten und Transformationsprozessen sind die Zielerreichungsgrade viel zu gering – viele Projekte erreichen nicht die angestrebten Veränderungen und „verhungern“ im Dschungel der Interessen, Neigungen und Auslegungen der beteiligten Personen, der sich widersprechenden Zielformulierungen oder anderer Hindernisse. 

Und das, obwohl doch scheinbar alles formal geregelt ist und das Vorhaben mit Meilensteinen und Zielen in der Führungsebene entwickelt wurde und nun in die einzelnen Bereiche der Organisation zur Umsetzung gereicht werden!?  Also scheint die formale Führung über Hierarchien für diese organisatorischen Entwicklungsprozesse nicht zu 100 Prozent geeignet.

Das greift nun das Konzept der lateralen Führung auf, also die Führung ohne Weisungsbefugnis. Sie entwickelt informale Führungsansätze unterhalb oder parallel zu der hierarchischen (formalen) Führungsstruktur und hilft, definierte Lösungen und Zielszenarien zu erreichen.

In Unternehmen gibt es typischerweise zum Beispiel die Rolle des CEO, die Bereichsleiter, die Abteilungsleiter, Teamleiter etc. Diese Personen leiten auf Basis ihrer hierarchischen Stellung das Tagesgeschäft und haben damit in der Aufbauorganisation zugeordnete Mitarbeiter, welche bei der Umsetzung ebenfalls Rollen, Kompetenzen und Aufgaben innehaben. Im „Tagesgeschäft“ funktioniert diese Konstellation meistens sehr gut.

Jedoch mehr als ein Drittel aller Führungskräfte in Unternehmen, die temporär oder auch fix Teams leiten, führen lateral (Raddatz 2008). Mit anderen Worten: Sie haben oft auch keine Mitarbeiterverantwortung.

Sie haben also die Aufgabe, nicht unterstellte Personen der Projektorganisation auf ein Arbeitsziel hinzuführen. Die Projektbeteiligten sind dabei nicht zwingend aus derselben Abteilung oder demselben Bereich, ja bei großen Veränderungsprozessen manchmal noch nicht einmal aus demselben Unternehmen. Weiterhin kommen die Beteiligten aus unterschiedlichen hierarchischen Positionen, vom Leiter eines Bereiches hin zum Mitarbeiter an der Kundenbasis kann die Spanne sehr groß sein.

Die wichtigsten Herausforderungen der Führung ohne hierarchische Macht (laterale Führung) sind es, Lösungen zu finden bezüglich:

  • der gemeinsamen Verständigung über den Auftrag und das Ziel des Projektes;
  • der einvernehmlichen Einigung über Rollen, Aufgaben und Verantwortungen;
  • dem gemeinsamen Verständnis bezüglich der Schnelligkeit und des Qualitätsanspruches;
  • der Definition der Spielräume aller Beteiligten im Projekt;
  • dem gemeinsamen Verständnis bezüglich aller weiteren Absprachen z.B. Dokumentation, Information, Kommunikation.

Die Mechanismen der Einflussnahme der lateralen Führung sind definiert als:

  • Macht
  • Vertrauen
  • Verständigung

Macht, Vertrauen und Verständigung greifen so ineinander, dass sie sich gegenseitig bedingen. Wenn sich die Beteiligten in der Zusammenarbeit vertrauen, funktioniert auch die Kommunikation und Verständigung besser. Vertrauen im Projekt hilft den Beteiligten, Kompromisse und neue Wege zum Ziel zu finden. 

Das Zulassen von (temporär) mehreren möglichen Lösungswegen hilft, Konflikte und Meinungsverschiedenheiten zu verhindern, auch wenn dann später im Projekt eine Lösung auf der Strecke bleiben wird. Eine gute Verständigung zwischen den Projektbeteiligten setzt zusätzliche Kräfte bei den Mitarbeitern frei und motiviert intrinsisch.

Die Führungskraft organisiert diese Verständigungsprozesse und fördert die Vertrauensbeziehung zwischen den Akteuren. 

Die Macht wird hier von der Führungskraft nicht durch hierarchische Anweisungen ausgeübt, sondern durch den Einsatz informeller Kommunikation („der kurze Dienstweg“), den Einsatz von Expertenwissen oder durch Nutzung von Netzwerk-Kontakten in der Organisation. 

Der Clou der lateralen Führung liegt in der jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsetzung dieser drei Faktoren. Sie besteht darin, variable Möglichkeiten der Beeinflussung unter Berücksichtigung der Entscheidungsprozesse im Projekt und in der Organisation einzusetzen.

In der klassischen Führung nur über Hierarchien wird hinsichtlich der beteiligten Mitarbeiter mit einem einfachen Denkschema gearbeitet: 

Auf der einen Seite sind die „Guten“, die Innovatoren, die die Umsetzung der Veränderung oder des Projektes stark mittragen und dem Wandel sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Auf der anderen Seite befinden sich die „Bösen“, die Widerständler, die für den derzeitigen Zustand stehen und das Unternehmen um den notwendigen Wandel bringen wollen.

Beim lateralen Führen in Veränderungsprozessen betrachtet man die unterschiedlichen Interessensgruppen hinsichtlich der individuellen Vertrauensroutinen und Verständigungsprozesse und agiert differenziert. Jeder beteiligte Mitarbeiter wird also dort „abgeholt“,wo er steht und nicht in formale hierarchische Mechanismen gezwungen. So wird der Unterschiedlichkeit von Menschen hinsichtlich der Reaktion auf Veränderung Rechnung getragen und das Denken in Schubladen vermieden. 

Das Führen von Projektteams ist eine große Herausforderung. Nur wenn man „in Kontakt“ mit den Teammitgliedern bleibt, kann die Führungskraft die drei Mechanismen „Macht, Vertrauen und Verständigung optimal im Rahmen des Projektes oder des Veränderungsprozesses einsetzen. Laterale Führung wird dann anspruchsvoll, wenn es um Entscheidungen geht, die alle „mittragen“ müssen.

Für die Führung in Veränderungsprozessen ist also wichtig:

  • Werden Sie sich der andersartigen Führung in Projekten und Veränderungsprozessen bewusst und lassen Sie diese zu.
  • Führen Sie die Gespräche mit Projektbeteiligten mit gleichen Interessen in der Gruppe und Gespräche mit Personen unterschiedlicher Interessen unter “4 Augen“; So setzen Sie die informelle Kommunikation optimal ein und verhindern Differenzen in der Mitarbeitergruppe.
  • Kommunizieren und kommentieren Sie nicht die unterschiedlichen Auffassungen der Projektbeteiligten hinsichtlich der existierenden Konstellation zu Macht, Vertrauen und Verständigung außerhalb von „4-Augen Gesprächen“, so behalten im Rahmen der lateralen Führung die Möglichkeit, Einfluss auszuüben.
  • Seien Sie in den Ergebnis- oder Zieldefinitionen möglichst ergebnisoffen. Es können auch mehrere unvollständige oder widersprüchliche Konzepte in Veränderungsprozessen erprobt werden und es werden dabei auch nicht tragbare Lösungen im Laufe des Projektes wieder „unter den Tisch fallen“.

Gerade in Zeiten umfassender Herausforderungen in Hinblick auf die aktuellen und kommenden Änderungen in Unternehmen ist ein menschenbezogener Führungsstil gefragt, der sich nicht nur an Hierarchien und formalen Strukturen orientiert, sondern flexibel die betroffenen Mitarbeiter mit Blick auf die Mechanismen „Macht, Vertrauen und Verständigung“ steuert und zum Erfolg führt.

Michael Fürst –  Berater

 junokai

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