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Tipp KW 40 – 2018

Gespräche mit Auftraggebern von Contact Center Dienstleistern zeigen, dass diese überwiegend nicht wirklich zufrieden mit ihren Dienstleistern sind. Woran liegt das? Der Markt regelt nicht alles – weder die Zufriedenheit der Auftraggeber noch die der Contact Center Dienstleister. Darauf basierend werden weder die Erfüllung der Service KPIs der Auftraggeber noch die wirtschaftlichen KPIs der Dienstleister rein durch die unsichtbare Hand des Marktes ins Gleichgewicht gebracht. (Die unsichtbare Hand ist ein metaphorischer Ausdruck, mit dem der schottische Ökonom und Moralphilosoph Adam Smith 1776 in „Der Wohlstand der Nationen“ die unbewusste Förderung des Gemeinwohls beschrieb.) Worauf ist also zu achten? Auftraggeber müssen sich bewusst machen, dass sie, nachdem sie einen Dienstleister unter Vertrag genommen haben, mit anderen Auftraggebern in Konkurrenz stehen. Diesen Konkurrenzkampf gilt es für sich zu entscheiden. Warum das so ist und was das bedeutet, dazu später mehr.

Zunächst muss der Dienstleister richtig ausgewählt werden. Aus vielen Aspekten sollen hier die zwei wichtigsten hervorgehoben werden. Zum einen der Preis. Es besteht immer noch der Irrglaube bei Auftraggebern, dass eine ausgeschriebene Dienstleistung zu den Preisen des Hauptfelds der Dienstleiter anforderungsgerecht erbracht werden kann, da die Anbieter das ja sonst nicht so anbieten würden. Anbieter mit deutlich höheren Preisen als das Hauptfeld gelten als Ausreißer, die abzulehnen sind. Da reicht auch keine Gewichtung von 60% für die Qualität versus 40% für den Preis, was in der Regel das Höchste der Gefühle in Richtung Qualität ist. Da fast alle Auftraggeber so auswählen und die Dienstleister das wissen, bieten sie preislich auf diesem Niveau an, weil sie sonst gar keine Aufträge mehr erhalten würden und hoffen, dass sie irgendwie durchkommen oder im Laufe des Projektes nachverhandeln können. Das funktioniert aber meistens nicht. Die Servicelevel und Qualitätsziele werden nicht erreicht, da zu wenig und/oder schlechte Ressourcen zur Verfügung stehen. Bei der nächsten Ausschreibung möchte der Auftraggeber den Dienstleister dann wieder auswechseln und macht den gleichen Fehler erneut. Um konkret zu werden: viele Auftraggeber glauben noch, dass ein Dienstleister mit einem Minutenpreis von 0,60 € gut auskommen müsste. Bei einer Produktivität von 44 abrechenbaren Minuten pro Agentenanwesenheitsstunde (einfach gerechnet, ohne differenzierte Servicelevel Anforderungen oder einen bestimmten Mix aus synchron/asynchron zu berücksichtigen) macht das einen Stundenumsatz von 26,40 €. Dem gegenüber stehen Kosten von 10,00 € Stundenlohn für Agenten (darunter bekommt man keine geeigneten Mitarbeiter mehr) + 21% Lohnnebenkosten = 12,10 € + 23% Aufschlag für Urlaub und Krankheit = 14,88 € + 10% Fluktuationskosten = 16,37 € + (bis zu) 25% Aufschlag für Overhead im Projekt (Projektleiter, Teamleiter, Coaches etc.) = 20,46 € + (bis zu) 30% Aufschlag für Gemeinkosten (Zentralfunktionen, IT, Mieten etc.) = 26,60. Hier sind die Dienstleister also schon im oder nahe am Minus, bevor überhaupt an so etwas wie eine Gewinnmarge oder sogar an innovative Projektinvestitionen zu denken ist. Zugegeben ist das eine sehr grobe Kalkulation, die im Kern jedoch recht gut passt. Realistische Minutenpreise liegen heute, je nach Produktivität pro Stunde und der Gesamtkostenstruktur jenseits von 0,60 € und können je nach Anforderungen und Rahmenbedingungen sogar bei einer Größenordnung von 0,70 € liegen. Wenn der Markt also die Dienstleister nicht dazu bringt, realistische Preise anzubieten, dann sollten dies die Auftraggeber im eigenen Interesse durchbrechen (z.B. den Preis bei der Auswahl mit max. 20% gewichten), um eine nachhaltig gute Leistung zu erhalten, welche die eigenen Kunden bindet und neue gewinnt. Dabei garantiert ein höherer Preis natürlich noch keine gute Leistung. Der Dienstleister muss auch entsprechend gesteuert werden. Jedoch ist eine ausreichende Vergütung eine Voraussetzung dafür, dass eine gute Leistung seitens des Dienstleisters überhaupt erbracht werden kann.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Auswahl des verantwortlichen Projektleiters beim Dienstleister. Hier haben wir es mit einem weiteren Marktdilemma zu tun. Die Anforderungen an einen guten Projektleiter für komplexe Serviceprojekte sind so hoch (Führung, Prozess- und Zahlenverständnis, Führung des Auftraggebers), dass jemand, der diese Skills alle erfüllt, nicht als Projektleiter bei einem Callcenter Dienstleister arbeiten möchte, weil er noch viele andere für ihn attraktivere Optionen hat (z.B. Standortleiter). Daher gibt es nur wenige wirklich gute Projektleiter bei Dienstleistern. Das Dilemma lässt sich so einfach nicht auflösen. Auftraggeber müssen um so mehr darauf achten, bei der Auswahl des Dienstleisters auf den Projektleiter für das eigene Projekt explizit wert zu legen, diesen im Vorfeld ausgiebig kennenzulernen und sogar so weit gehen, einen Dienstleister bei sonst guter Erfüllung der Anforderungen abzulehnen, wenn dieser für das Projekt keinen seiner raren geeigneten Projektleiter zur Verfügung stellen kann, bzw. keinen geeigneten Kandidaten beschaffen kann.

Jetzt kommen wir zurück auf das Thema Konkurrenz. Solange die Dienstleister Auftraggeber gewinnen und halten wollen, konkurrieren sie um diese. Viele Auftraggeber sind sich jedoch nicht bewusst, dass sie bei ihrem ausgewählten Dienstleister auch in Konkurrenz stehen; nämlich mit den anderen Auftraggebern dieses Dienstleisters und mit potenziellen neuen Aufraggebern – und das umso mehr je knapper aktuell die Mitarbeiterressourcen der Dienstleister werden. Oder anders gesagt: Um welchen Auftraggeber kämpft ein Dienstleister? Für welchen Auftraggeber interessiert sich die Geschäftsführung des Dienstleisters? Welchem Auftraggeber werden die knappen Mitarbeiterressourcen zur Verfügung gestellt? Welchem Auftraggeber werden die besten Mitarbeiter des Dienstleiters zur Verfügung gestellt? Bei welchem Auftraggeber ist die Projektfluktuation am geringsten? Für welchen Auftraggeber geben die Menschen beim Dienstleister gerne ihr Bestes? Die Antwort ist klar. Auftraggeber sollten mindestens zu den oberen 50% im Rentabilitätsranking der Projekte beim Dienstleister gehören, einen guten Partnermanager stellen, der zielorientiert und partnerschaftlich agiert und durch eigene Motivations- und Incentivierungsprogramme dafür sorgen, die glücklicheren Kundenberater im eigenen Projekt zu haben als in konkurrierenden Projekten anderer Auftraggeber.

Der Markt allein regelt das alles nicht immer, zumindest nicht im eigenen Sinne.

– Jonas Leismann (Associate Partner)
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