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Tipp KW 34 – 2018

Unternehmen wollen sich zunehmend durch Service differenzieren. Doch gelingt das heute wirklich schon umfassend? Dieser Tipp der Woche gibt ein Blitzlicht in die eigenen Erfahrungen des Autors mit dem Service verschiedener Unternehmen und zeigt als Ergebnis: Luft nach oben gibt es allemal.

Dass Service nicht nur Service in Contact Centern sondern auch am physischen Point of Sale im Ladengeschäft betrifft, sollte Unternehmen nicht unbekannt sein. Zunehmend bemerke ich jedoch, dass sich Service am physischen Point of Sale eher verschlechtert als verbessert.

Die Nachfrage der Verkäuferin/des Verkäufers an der Theke beim Bäcker, welcher Kunde als nächstes zu bedienen ist, reduziert sich häufig auf ein barsches „Nächster?!“. Nun gut, es muss vielleicht schnell gehen, die Schlange reiht sich schon, während eine Bedienung an der Theke steht und weitere zwei im Hintergrund Waren sortieren. Ich frage mich, ob das in der Stoßzeit sein muss. Auch die Frage nach weiteren Bestellwünschen des Kunden wird auffallend häufiger auf ein „Alles?“ verkürzt. Dass das gleichzusetzen ist mit einem „war das alles?“ oder „darf es noch etwas sein“ musste ich erst lernen, vielleicht müsste man es sich heutzutage denken auch wenn es an Unfreundlichkeit kaum zu überbieten ist. Die stakkatohaft herausgebellten Wortfetzen, ohne dabei eine Miene zu verziehen, lassen in Bezug auf Kundenorientierung stark zu wünschen übrig.

Nächster Ort des Geschehens: Winterreifenwechsel bei einer großen Werkstattkette. Bei jedem Reifenwechsel wird dort versucht, den Bedarf nach neuen Reifen zu wecken. Mal ist es das Alter der Reifen, mal die Profiltiefe, die angeblich nicht mehr ausreicht. Misstrauisch macht das schon, denn beim letzten TÜV vor wenigen Monaten wurde nichts bemängelt. Auf die Frage, warum das denn sein müsse ging die Diskussion beim letzten Mal so weit, dass als Begründung vorgebracht wurde: „ja, wenn Sie demnächst bei regennasser Straße bremsen müssen und in eine Kindergartengruppe hineinfahren…“. Keine sachliche Begründung, stattdessen wurde bei mir als Kunde Angst geschürt. Eine vertrauensvolle Beratung sieht anders aus. Ist das künftig noch der Reifenpartner meines Vertrauens?

Bleiben wir bei Vertrauen: Die Werkstatt eines großen deutschen Autoherstellers hat eine turnusmäßige große Inspektion des Fahrzeuges gemacht. Dabei sind angeblich zu ersetzende Teile und „Kleinigkeiten“ aufgefallen, die „unbedingt gemacht werden müssten“. Diese Arbeiten summierten sich im Kostenvoranschlag auf etwas über 2.000,- Euro – ein stolzer Preis. Um hier nicht gleich in vorauseilendem Gehorsam den Reparaturauftrag zu vergeben, bin ich in eine neutrale kleine Kfz-Werkstatt gefahren. Dort wurde nur ein kleiner Teil der im Autohaus bemängelten Sachverhalte auch so bestätigt. Am Ende kam eine Rechnung von Teilen und Arbeitslohn von weniger als 400,- Euro zusammen. Sie können sich sicher denken, wem ich künftig mein Vertrauen schenken werde.

Freundlichkeit und Vertrauen sind aus eigener Erfahrung wichtige Kriterien dafür, ob ein Kunde sich gut aufgehoben fühlt und wiederkommt. In der Anonymität von großen Ketten ohne persönlichen Bezug zum Kunden besteht hier inzwischen erheblicher Nachholbedarf in puncto Kundenorientierung. Nicht selten kommt man sich als Bittsteller vor, der froh sein darf, bedient zu werden. Hauptsache man zahlt.

Aber es gibt auch immer wieder positive Erfahrungen, die überraschen. Bei der Bahn gibt es inzwischen an vielen Bahnhöfen Nummernautomaten, um sich in die Warteschlange vor den Auskunfts- und Ticketschaltern einzureihen. Das ist schlecht für Geschäftsreisende, die wenig Zeit haben und vielleicht die Minuten Aufenthalt vor ihrer Abfahrt dazu nutzen wollen, um schnell noch etwas am Schalter zu erledigen. Überrascht war ich, dass ich kürzlich im Menu an dem Nummernautomaten eine Auswahlmöglichkeit für Vielfahrer entdeckt habe, ich somit in einer „Fast Lane“ zügig an die Reihe kam und hierdurch bestimmt 30 Minuten Wartezeit im überfüllten Warteraum einsparen konnte. Das hat mich positiv überrascht, da hat jemand mitgedacht.

Übertragen auf die Bedienung von Kunden in einem Contact Center lassen sich durchaus Parallelen feststellen. Zwar wurde hier in Bezug auf Freundlichkeit in der jüngsten Vergangenheit eine Menge getan, doch beobachte ich immer wieder, dass der ungebrochene Wille des Unternehmens, noch mehr Umsatz aus jedem einzelnen Kunden herauszuholen, z.T. abstruse Züge annimmt. Noch bevor man sein eigentliches Serviceanliegen vorbringen kann, stellt der emsige Kundenberater fest, dass der eigene Tarif inzwischen doch nicht mehr der beste ist und es sich doch lohnen würde, erstmal auf einen anderen Tarif zu wechseln. Das ist nett von dem Kundenberater aber ich möchte doch mein Anliegen loswerden und mit ihm lösen, bevor ich mich um etwas kümmere, was bisher gar nicht in meinem Blickfeld war und mich nicht primär beschäftigt.

Die Versuche, bei jedem Kunden und bei jeder Gelegenheit Up- und Cross-Selling anzubringen, nervt inzwischen ebenso wie die schlecht umgesetzte Automatisierung einzelner Geschäftsprozesse. Es ist nicht damit getan, einen Prozess digital abzubilden, ohne auf Sonderfälle und Ausnahmen vorbereitet zu sein. Insbesondere Mehrfachanliegen, die neben dem ggf. durchaus digital abzuwickelnden Geschäftsprozess noch weitere Fragen oder Wünsche des Kunden beinhalten, werden häufig vernachlässigt. Die wenigsten Kunden haben jedoch nur singuläre Anliegen. Selten gibt es allerdings von dem digital durchführbaren Prozess (z.B. der Änderung einer Bankverbindung) eine kundenfreundliche Absprungmöglichkeit, um die anderen Anliegen zu klären. Meistens passiert das dann mit einem neuen Kontakt und häufig noch mit einem Medienbruch.

Das eröffnet Möglichkeiten für neue Betreuungskonzepte. Erste Vermarktungsideen eines Service „ohne Bots“ oder der persönlichen Betreuung durch einen dedizierten Kundenbetreuer und/oder ein dediziertes Team gibt es bereits im Markt.

Die Differenzierung auch im Contact Center, jenseits von Rationalisierung und Automatisierung, hat aus Sicht des Autors auch in den nächsten 5 Jahren noch eine erhebliche strategische Relevanz. Wie am physischen Point of Sale lohnt es sich, auch darauf regelmäßig ein Augenmerk zu legen und das Erlebnis des Kunden zu verfolgen. Alleine die alltäglichen persönlichen Erfahrungen sind dabei das beste Mittel, um sich selbst und die eigenen Kundenserviceprozesse jederzeit kritisch zu hinterfragen, getreu dem Motto: Wer aufhört besser zu werden, hört auf gut zu sein!

– Henning Ahlert (Geschäftsführender Gesellschafter)
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