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Tipp KW 32 – 2017

Die bisherige Vertriebslandschaft von reinen Online-Stores und stationärem Handel hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Waren es zuvor nur die klassischen Vertriebskanäle mit Point of Sales die zusätzlich einen Online-Vertriebskanal aufbauten, setzen jetzt vermehrt auch Online-Händler auf zusätzliche Stores oder Pop-Up-Shops um zusätzlich zum Vertriebsweg auch Image, Reichweite und Brand Awareness zu schaffen.
Diese Diversifizierung oder Verwässerung von Geschäfts- und Vertriebsmodellen hat dazu geführt, dass sich ein immer wieder auftretender Konflikt ergibt, der oftmals nicht gelöst, sondern – im Gegenteil – ignoriert wird und im schlimmsten Fall in Mitarbeiter-Unzufriedenheit, negativer Kundenerfahrung und erhöhtem Churn mündet: nämlich dem geschaffenen Wettbewerb zwischen Online, Vertrieb und Kundenservice als Vertriebs- und Servicekanal.

Typische Ausprägungen dieses Wettbewerbs sind:

  • Kunden mit Serviceanliegen werden am Point of Sales nicht mehr betreut, sondern an Hotline oder Online Support verwiesen, da Shops in erster Linie an Hand von Vertriebskennzahlen gemessen und beurteilt werden.
  • Preise, Angebote und Services sind an den einzelnen Kundenschnittstellen unterschiedlich gestaltet und auch Prozesse sind Kontaktkanal-übergreifend nicht immer einheitlich. Ein Online bezogenes Produkt wird z.B. vom stationären Shop nicht als Retoure akzeptiert oder analog kann ein im Shop gekauftes Produkt auch nur dort retourniert werden.
  • Um Online-Traffic zu steigern, werden besondere Online-Angebote lanciert, die der stationäre Vertrieb nicht realisieren oder anbieten kann. Im Gegenzug vermeidet dann der Shop den Kunden auf mögliche Online-Services und Vorteile durch die Nutzung hinzuweisen, um mögliche Konkurrenz dieses Vertriebskanals zu vermeiden.
  • Kundenanliegen, die beim Kundenservice landen, müssen demzufolge dann auch inhaltlich nach Kundentouchpoints getrennt und unterschiedlich gehandelt werden, was einen erhöhten Schulungs- und Koordinationsaufwand bedeutet und höhere Fehlerquoten nach sich zieht.

Auch wenn jede Seite einen validen Standpunkt hat und diesen auch oft in Entscheidungs- und Priorisierungsfragen mit Vehemenz vertritt, wird zu oft das wesentliche übersehen: Welche Wahrnehmung oder Erfahrung bekommt der Kunde durch diese Vorgehensweise?
Spätestens dann, wenn ein Kunde von einem Kontaktpunkt zum nächsten weitergeschickt wird, ist das allein schon eine negative Erfahrung und für ihn nicht nachvollziehbar, denn aus Kundensicht hat er ein Produkt oder einen Service bei einem Unternehmen gekauft.
Zudem muss dieser Kunde dann sein Anliegen an anderer Stelle mindestens noch einmal ausführen und – Hand aufs Herz – wer von uns hat sich hierüber nicht schon einmal geärgert. Hinzu kommt, dass das Unternehmen kanalübergreifend auch Mehrkontakte handeln muss, was ebenso Zusatzkosten bzw. unproduktive Zeit bündelt.

Die Lösung dieses Konflikts ist nicht trivial und muss, um vor allem nachhaltig zu sein, daher von mehreren Seiten angegangen werden:

1. Schaffen Sie ein einheitliches Kundenerlebnis und übergreifend nachvollziehbare Prozesse

Aus Kundensicht darf es keinen Unterschied geben ob ein Produkt oder Service online oder stationär bestellt wurde. Dies gilt insbesondere für Retouren, Serviceportfolio und/oder Garantien/Kulanz. Wenn es Prozesse gibt, die nur online abgebildet werden sollen, kann als Hilfsmittel ein Online Terminal im Shop oder ein Tablet zur Verfügung gestellt werden. Die Mitarbeiter müssen aber auch auf diese Themen geschult sein und den Kunden vor Ort unterstützen können.

Wichtig: Vereinfachen und standardisieren Sie die Prozesse im Service um ein aus Mitarbeitersicht sinnvolles Serviceangebot darzustellen. Nur wenn ihre Mitarbeiter, ob im Kundenservice oder stationärem Handel, ein einheitliches Verständnis und Buy-In haben, werden diese ihre geschaffenen Prozesse gegenüber ihren Kunden gut argumentieren können und selber leben.

2. Schaffen Sie Ausgleichs-Anreize

Wenn es aus Unternehmensstrategie-Sicht spezielle Online Angebote geben soll, die einen Mehrwert gegenüber dem Retail Angebot beinhalten, sollten diese trotzdem auch durch den stationären Handel Vor-Ort als auch durch den Kundenservice-Mitarbeiter buchbar sein und bearbeitet werden können. Auch wenn durch eine andere Preispunkt-Politik die Provision nicht gleich einem Neuabschluss oder Verkauf im Shop entspricht, kann z.B. über ein gesondertes Prämienmodell einen Anreiz für den Shop oder den Kundenservice realisiert werden. Zusätzlich kann es als Ausgleich auch besondere Angebote oder Aktionen geben, die nur im Shop und Kundenservice angeboten werden können.

3. Machen Sie Betroffene zu Beteiligten

Oft sind in Unternehmen die Verantwortlichen für Online-Strategie, Retail-Managment, Marketing und Kundenservice nicht identisch. Aber gerade hier ist eine Abstimmung im Vorfeld wichtig und essenziell, um mögliche Konflikte zwischen den Streams im Vorfeld zu erkennen. Gerade die Abstimmungen von Produkt- und Kampagnen-Management mit den Kundenschnittstellen wird oft als lästiges To-Do abgetan, obwohl genau diese Menschen von den Kunden als Primärkontakte und Informationsgeber angefragt werden.

Ermöglichen Sie daher auch interdisziplinäre Erfahrungen. Dies muss nicht zwangsläufig eine fest verankerte Job-Rotation sein, aber es hat sich in der Vergangenheit tatsächlich oft bewährt und als von allen Seiten wertvolle Erfahrung beurteilte Maßnahme erwiesen, wenn z.B. Führungskräfte oder Bereichsverantwortliche aus Nicht-Kundenservice-Einheiten 1x pro Jahr für 1-2 Tage im Kundenservice zuhören oder sogar mitarbeiten.

Wichtig hier: Schaffen Sie eine Plattform, so dass die betroffenen Bereiche selbst gemeinsame Bottom-Up Lösungen erarbeiten und schaffen können.
Ihre Kunden sehen ihr Unternehmen, Ihre Produkte, Ihre Marke und ihre Services als Einheit. Warum also nicht auch diese Sichtweise auf alle Bereiche ihres Unternehmens übertragen und eine Basis für eine Einheit aus Kunden- und Unternehmenssicht schaffen?

– Carlos Carvalho (Berater)
junokai

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