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Tipp KW 28 – 2020

Voice Files im Contact Center – Horten Sie noch oder analysieren Sie schon?

Die meisten Contact Center zeichnen heute schon viele oder sogar alle telefonischen Kontakte auf. Warum eigentlich? 

Bei größeren Contact Centern kommen schnell tausende aufgezeichnete Gespräche pro Woche zusammen. Als einsame und unbearbeitete Audio-Dateien warten diese dann in voller Länge auf ihr, aus Datenschutzsicht unvermeidbares, Schicksal: die Löschung. Oft geformt aus wichtigen Customer Insights verbringen sie ihr relativ kurzes Dasein in trauriger erkenntnisarmer Stille, ohne Gehör zu finden. Doch am liebsten würden sie Call-Inhalte transportieren, mit anderen verträglichen Daten freudig korrelieren und so die internen Prozesse aus Kunden- und Unternehmenssicht optimieren. In den, aus statistischer Sicht, seltenen Fällen einer Bearbeitung durch einen Mitarbeiter, werden Sie sogar noch quälend aufwendig manuell erfasst, ihre Informationen lückenhaft in unübersichtliche Excel-Tabellen gepresst und anschließend dauerhaft ins Archiv verbannt. So können sie leider fast nie ihr ganzes Potenzial entfalten. 

Woran liegt’s? – Am falschen Vorgehen!

Aufgezeichnete Gespräche müssen nicht mehr in voller Anzahl und vollem Umfang dem menschlichen Gehör zugeführt und dadurch unweigerlich gefiltert bzw. subjektiv bewertet werden. Oft fehlen dazu auch die nötigen Ressourcen. Verschiedenste Software-Lösungen bedienen heute schon die unterschiedlichsten Ansprüche bzw. beantworten Fragestellungen an die aufgezeichneten Gespräche. Angefangen von der Voice-to-Text Übersetzung (Transkription), die im ersten Schritt das Indexieren und einfache Durchsuchen der Gespräche ermöglicht, geht es über die themenbezogene Verschlagwortung bis zur automatisierten Sentimenterkennung. Die vorher unsortierten Audio-Dateien können durch die eingesetzte Software mit weiteren Merkmalen wie beispielsweise Kontakt-Thema, Daten aus der Telefonanlage oder weiteren Quellen, angereichert und im Nachgang nach benutzerdefinierten Kriterien geclustert werden. So entsteht, abhängig von der eingesetzten Software, eine noch nie dagewesene informative Hoheit über alle aufgezeichneten Gespräche. Unter dem Strich: mehr Fakten und weniger Vermutungen. Daraus ergeben sich dann Antworten auf häufige Fragestellungen wie zum Beispiel:

Warum ist die Gesprächszeit am Standort X für den gleichen Anrufgrund höher als am Standort Y?​

Warum ist die Recontact-Quote für den Prozess A am Standort X niedriger? Was läuft dort besser?​

Warum gibt es bei Neukunden deutlich mehr Rechnungsanfragen?​

Warum ist die Lösungsquote für Thema X zwischen den Standorten unterschiedlich?​

Warum dauern die Calls zum Thema Y am längsten und haben den größten Beschwerdeanteil?

Warum werden Anfragen zum Thema Z nur zu 20 Prozent gelöst?

Die eierlegende Wollmilchsau? – Nicht ganz.

Euphorie ist sicher angebracht, sollte aber mit Vorsicht genossen werden. Falls der Eindruck entstanden ist, dass eine Software ausgerollt wird und am Folgetag die oben genannten Beispielfragen beantwortet werden können… ganz so leicht ist es (noch) nicht. Je nach eingesetzter Sprachanalysesoftware kann eine Implementierung einige Monate in Anspruch nehmen. Die meisten Technologieanbieter setzen auf die Transkription, um die Audio-Dateien in ein durchsuchbares Format zu überführen. Wobei das geschriebene Wort auch der kleinste gemeinsame Nenner aller anderen Kontaktkanäle ist und so eine bessere Vergleichbarkeit ermöglicht. Dazu ist es aber erforderlich, dass ein allgemeines Sprachmodell in der jeweiligen Landessprache auf das spezielle Einsatzgebiet angepasst wird. Denn eine Bank nutzt andere Fachbegriffe als ein Telekommunikationsunternehmen, ein Versicherer oder ein Energielieferant. Nur so kann sichergestellt werden, dass Themen richtig und vollständig erkannt werden und somit ein konsistenter Datensatz entsteht. Darüber hinaus bedarf es in der Regel mindestens drei Mitarbeiter, die das System nach der Implementierung betreuen. Dazu gehört neben der ständigen Verbesserung der technischen Erkennungsgenauigkeit (z.B. durch das Anlernen neuer Begriffe) unter anderem auch die Pflege der aufgebauten Erkennungslogiken, um sicherzustellen, dass zu jeder Zeit eine repräsentative und statistisch valide Aussage getroffen werden kann.

Das klingt recht aufwendig, wozu das Ganze?

Es ist wichtig, zu verstehen, dass diese Technologie nicht über Nacht mit allen Features und voller Funktionalität ausgerollt werden kann und auch in einem dedizierten Team betreut und stetig verbessert werden muss. Das steht zusammen mit den einmaligen und laufenden Kosten für Mitarbeiter und Lizenzen klar auf der Seite „Invest“. Wie aber schon grob beschrieben, gibt es auch die Seite „Return“, welche zum Glück deutlich mehr Punkte mit sich bringt. Wenn die Frage aufkommt, welche wichtigen KPIs sich dadurch steigern lassen, gibt es für eine schlagkräftige Antwort hier einige Beispiele:

  • Kundenzufriedenheit
  • Mitarbeiterzufriedenheit
  • Weiterempfehlungsrate durch Kunden (NPS)
  • Weiterempfehlungsrate durch Mitarbeiter (eNPS)
  • First Call Resolution (FCR)
  • Sales Effektivität 
  • Training/ Coaching Effektivität bzw. Durchdringung
  • Customer Effort Score (CES)
  • Solution Rate

Andere KPIs wollen wir aber durch den Einsatz der Sprachanalyse nicht steigern sondern reduzieren, dazu gehören beispielsweise:

  • Percentage Unfriendly Contacts (PUC)
  • Average Handling Time (AHT)

Ergänzend dazu können unnötige Kontakte reduziert, Potenziale für digitale Prozesse aufgezeigt und Savings prognostiziert werden. Auch Compliance Themen können schneller erkannt und entsprechend darauf reagiert werden, sodass rechtlichen Folgen effizient vorgebeugt wird.

Mittelfristig wird der Einsatz von Sprach- bzw. Interaktionsanalyse auch in Deutschland Standard werden. Wozu also noch warten, eine Auseinandersetzung mit dem Thema bietet auch heute bereits das Potenzial, einen Wettbewerbsvorsprung zu erzielen.

Stefan Reissing – Junior Berater

 junokai

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