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Tipp KW 25 – 2019

Warum es am Ende nur um eine Kennzahl geht, wenn Sie Ihren Kundenservice erfolgreich steuern möchten. Und warum Sie all die anderen trotzdem nicht vergessen dürfen.

Wie viele Kennzahlen es in der Welt des Kundenservice doch gibt.

In den ACD-Anlagen messen wir die Average Handling Time, die Average Wait Time, die After Call Work Time, die Ring Time, die Queue Time, die Talk Time, die Dauer von Gesprächspausen, die Abbrecherquoten zu verschiedenen Zeitpunkten der Warteschleife und die was-weiß-ich-noch-time. Um die Sales-Erfolge im Inbound (oder Nicht-Erfolge) zu messen erfassen wir die Ansprachequote, die Salesquote, die Stornoquote, die Quote potenziell salesaffiner Inboundcalls, vergleichen die AHTs erfolgreicher und nicht erfolgreicher Calls und noch vieles mehr. Um die Qualität der Arbeit der Serviceberater messbar zu machen, werden Silent Monitorings und Coachings durchgeführt, in denen „objektiviert“ herausgefunden und penibelst dokumentiert wird, wie oft der Kundenname genannt wurde („Mindestens zur Begrüßung, zur Verabschiedung und, je nach Gesprächslänge, ein- bis zweimal dazwischen!“), ob und wenn ja welche Füllwörter und „schlechte“ Phrasen verwendet werden, ob Konjunktive und „verbotene“ Wörter zu hören sind, und das alles endet schlechtestenfalls in einem Qualitäts-Report der Objektivität vortäuscht und sogar die Basis für die leistungsorientierte Vergütung Ihrer Mitarbeiter ist. Wir sprechen über Digitalisierungsquoten und den Self-Service-Grad und selbstverständlich über all die HR- und Finance-Kennzahlen von der Krankenquote bis zu diversen Deckungsbeiträgen.

Mir fällt dazu ein:

Wie viele Dinge es doch gibt, die ich nicht brauche.“ (Sokrates). Und: „Einfachheit ist das Resultat der Reife.“ (Friedrich Schiller).

Sinn und Unsinn von Kennzahlen. Oder: Augenmaß

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Alle oben aufgezählten Kennzahlen haben ihren Sinn, haben eine Aussage und sind wichtig. Selbstverständlich streben Sie eine vernünftige Krankenquote an und beschäftigen sich intensiver mit Mitarbeitern, die hier auffallen. Aber ist es wirklich schlimm, wenn die in Teilzeit arbeitende alleinerziehende Mutter wegen ihrem Kind („kindkrank“) eine etwas erhöhte Krankenquote hat, sie aber sonst nicht nur sehr zuverlässig ist, sondern auch all ihre Ziele und Kennzahlen erreicht?

Selbstverständlich ist die AHT ein wichtiger Kennwert, auf dem grundlegende monetäre Planungen ebenso basieren wie alle Forecasts und Einsatzplanungen. Aber kann ein guter Mitarbeiter, der hervorragende Kundenfeedbacks bekommt (Sie messen doch hoffentlich die Kundenzufriedenheit nach Servicekontakten?) und dazu noch gute Salesquoten im Sales-in-Service erreicht, nicht auch gerne 30 Sekunden länger brauchen als der Teamdurchschnitt oder als die Vorgabe?

Selbstverständlich kann jede ACD-Anlage die Average Ring Time auswerten und in Reports abbilden (was meist auch passiert – und manchmal vielleicht einfach nur, weil es geht. Und weil der Report dann ob seines Detaillierungsgrads und Umfangs „professioneller“ aussieht). Und selbstverständlich sind Klingelzeiten von 30 Sekunden nicht tragbar. Aber wie oft kommt das vor?

Werfen Sie ab und zu einen Blick auf all die Zahlen und Werte, die Sie erfassen und reporten. Und fragen Sie sich, ob Sie diese Kennzahlen wirklich betrachten und wirklich brauchen. Ob Sie diese Kennzahlen überhaupt bewerten und managen können. Ob Ihnen und Ihrer Organisation wirklich bewusst ist, wann ein Messwert „gut“ oder „schlecht“ ist und warum. Und was Sie bei Abweichungen konkret unternehmen (außer dem Teamleiter vorzuwerfen „Dein Team funktioniert nicht, mach mal was!“). Weniger ist oft mehr. Sie sollten anstreben, lieber eine eher kleine Zahl wirklich wichtiger KPI auszuweisen die Sie auch wirklich aktiv managen, statt hüfthoch in Reports zu versinken die Sie ohnehin nicht lesen und nicht bewerten.

Die wichtigste Kennzahl im Kundenservice: Die (Erst)Lösungsquote

Darum geht es im Kundenservice. Üblicherweise rufen Ihre Kunden die Hotline an (oder schreiben eine Email, eine Facebook- oder Whatsapp-Nachricht, oder versuchen es im SelfService … egal, das Prinzip ist dasselbe) weil sie ein Anliegen haben, ein Problem, eine Frage. Für diese Kunden ist das in diesem Moment das Thema, der Aufreger, die Herausforderung – sie möchten das jetzt geklärt haben. Für Ihre Mitarbeiter ist der Anruf hingegen reine Routine, es ist vielleicht der fünfundvierzigste Call heute und davon der dreißigste mit der immer gleichen Rechnungsanfrage. Dieses Spannungsfeld verschiedener Priorisierungen und Erwartungshaltungen ist eine der größten Herausforderungen im Kundenservice. Denn der Mitarbeiter denkt womöglich an seine immer noch 15 Sekunden zu hohe AHT, oder an das neue Produkt, das er unbedingt vermarkten soll – und der Kunde will vor allem eins: Die Lösung seines Anliegens. Jetzt.

Dabei sind dem Kunden die meisten anderen Kennzahlen, die so gerne im Kundenservice erhoben werden, letztlich herzlich egal. Der Anrufer macht nicht wirklich einen Unterschied, ob er 20 oder 50 Sekunden warten musste (ok, 30 Minuten sollten es bitte nicht sein, da sind wir uns sicher einig), so lange am Ende sein Anliegen geklärt ist. Dem Anrufer ist so gar nicht wichtig ob er um 11:35 Uhr mit „Guten Morgen“ oder „Guten Tag“ begrüßt wird und ob sein Name im Gespräch zwei- oder viermal genannt wurde, so lange am Ende sein Problem geklärt ist.

Was bedeutet „Lösung“?

Die Übersetzung von „Lösung“ aus Sicht des Kunden lautet eigentlich: „Ich muss nicht nochmal anrufen“. Idealerweise ist die Lösung das, was der Kunde für sein Anliegen erwartet hat. Sein DSL-Anschluss funktioniert wieder, er hat den unklaren Posten auf der Rechnung verstanden, sein abgestellter Strom ist wieder verfügbar, sein defektes Mobiltelefon wird ersetzt. Das bedeutet dann natürlich zugleich: Zusagen müssen eingehalten werden (z.B. muss der Gerätetausch auch wirklich zeitnah funktionieren), Folgeprozesse müssen sicher ablaufen (z.B. muss die zugesagte Rechnungskopie per Email auch wirklich sofort verschickt werden).

Aber die Lösung kann manchmal auch anders erreicht werden. Sagen wir Sie sind ein DSL-Anbieter, und ein Kunde fragt „Ich habe hier eine neue PlayStation, und ich schaffe es nicht sie mit dem WLAN-Router zu verbinden den ich von Ihnen bekommen habe.“. Die schlechteste aller Antworten wäre sicherlich „Sorry, das ist Fremdhardware, die supporten wir nicht! Ich kann Ihnen nicht helfen.“. Selbst wenn das zutrifft und der Mitarbeiter die PS nicht supportet: Ein „Wir selbst unterstützen hier leider nicht, aber ich empfehle Ihnen, doch einmal auf Youtube nach Tutorials zu suchen – da werden Sie sicher etwas finden, und da wird die Verbindung von PS und Router normalerweise sehr einfach erklärt“ dauert nur ein paar Sekunden länger, aber gibt dem Kunden die Möglichkeit sein Problem zu lösen. Und das ohne weiteren Anruf.

Es kann – vereinfacht gesagt – nur zwei Gründe geben, warum es keine Lösung gibt: Entweder gibt der Serviceprozess das nicht her, oder der Mitarbeiter kann oder will nicht helfen. Prozessschwächen sollten Sie deshalb konsequent und fortlaufend identifizieren und beheben (z.B. durch einen etablierten und mit Nachdruck betriebenen KVP-Prozess, basierend auf Feedback aus dem Kundenservice). Kann der Mitarbeiter nicht weiterhelfen, liegt das üblicherweise entweder an seinem Wissen, also am „Können“ (Stichworte hier: Trainingskonzept und Wissensmanagement, beides sollten Sie immer wieder hinterfragen und optimieren). Und manchmal, glücklicherweise eher selten, schlicht am „Wollen“. Mithin ist das dann ein klassisches Führungsthema für Ihre Teamleiter.

Erstlösung ist Kundenzufriedenheit

Sicherlich messen auch Sie fortlaufend die Zufriedenheit Ihrer Kunden mit Ihrem Service – sei es per Voicedialog direkt nach dem Inbound Call, oder per SMS- oder Email-Umfragelink. Nein? Tun Sie’s. Sie werden neben vielen anderen spannenden Erkenntnissen sehen:

Kunden, die im Erstkontakt eine Lösung erhalten haben (aka: Sie müssen sich nicht noch einmal an Ihren Service wenden), sind doppelt so zufrieden wie Kunden, die keine Lösung erhalten. Selbst Kunden, die sich mehrfach an Sie wenden müssen und dann eine Lösung bekommen, sind noch signifikant zufriedener als diejenigen ohne Erfolg.

Auf einer gebräuchlichen 10er-Skala (0 = sehr unzufrieden, 10 = sehr zufrieden, wobei der gute Bereich bei 8,0 beginnt und Sie ein Ergebnis von 9,0 anstreben sollten) zeigt sich in vielen empirischen Messungen ein klarer Trend:

• 4,5 ist die durchschnittliche Bewertung von Kunden, die keine Lösung im Servicekontakt bekommen haben
• 6,5 ist die durchschnittliche Bewertung von Kunden, die nach mehrfachen Kontakten eine Lösung bekommen haben
• 9,0 ist die durchschnittliche Bewertung von Kunden, die im Erstkontakt eine Lösung bekommen haben

Nur Kunden, die sehr schnell eine Lösung erhalten, sind auch zufrieden. Und dabei kann man belegen, dass beispielsweise die Wartezeit in der Warteschleife keinen signifikanten Einfluss auf die Bewertung hat (so lange sie in einem vernünftigen Rahmen bleibt).

Zufriedene Kunden sind mehr als nur zufriedene Kunden

Eigentlich wissen wir es alle: Zufriedene Kunden kündigen ihre Verträge seltener und verlängern sie öfter. Zufriedene Kunden berichten von ihren Erlebnissen und empfehlen Sie weiter – und sorgen so für neue Kunden. Zufriedene Kunden sind nach einem positiven Servicekontakt viel offener für Up- und Cross-Selling-Angebote und ermöglichen so ganz automatisch bessere Conversion Rates. Aber zufriedene Kunden sind auch ein wichtiger Motivationsfaktor für ihre Mitarbeiter – denen es mehr Freude bereitet den Anrufern weiterzuhelfen, statt die „lösungslos“ wegzuschicken.

Zufriedene Kunden mit einer Lösung rufen nicht zuletzt – und das ist sicherlich ein sehr wichtiges Argument – auch nicht noch einmal an. Sie entlasten Ihre Serviceeinheit, produzieren weniger Kundenkontakte, und reduzieren damit entweder signifikant Ihre Servicekosten und/oder verbessern Erreichbarkeit und Wartezeit. Was wieder Ihre Kunden freut. Ein positiver Teufelskreis.

Soll ich nun nur noch auf die Erstlösung achten?

Nein. Wie bereits beschrieben sind noch sehr viele andere KPI für die erfolgreiche Steuerung Ihres Kundenservice wichtig und wertvoll. Doch die Wichtigkeit der Erstlösung können Sie gar nicht hoch genug einschätzen – denn sie zahlt auf viele weitere Kennzahlen positiv ein bzw. sie ist das Ergebnis vieler kleiner erfolgreicher Maßnahmen rund um Prozessgestaltung, Servicesteuerung und Mitarbeiterführung und ist daher einer der besten – vielleicht der beste – Gradmesser für erfolgreichen, positiven, kundenorientierten Service.

Gerhard Klose (Senior Berater)
junokai

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